Der Name Inn oder En komme von den keltischen Wörtern en und enios, welche Wasser bedeuten, ist zu lesen. Leuchtet jedenfalls ein. Tatsächlich fliesst viel Wasser den Inn hinunter, und dieser auf rund 50 Kilometer durchs Unterengadin.
Ins Unterengadin fliesst er bei Brail auf der Höhe der Punt ota. Dort liegt die Sprachgrenze von Puter zu Vallader, also der Beginn des Unterengadins. Unterhalb von Brail bahnt sich der Fluss seinen Weg durch eine eher breite Schlucht, in die man zu Fuss hinuntersteigen kann und auch wieder hochkommt. Sie ist zum Beispiel der Lieblingsort von Paolo de Almeida, einem passionierten Fischer aus Zernez. Überhaupt die Fische, sie machen für viele – vorzugsweise Fischer – den grossen Reiz des Flusses aus. In erster Linie wegen der Bachforellen und Aeschen, die am häufigsten vorkommen und selten noch Regenbogenforellen. Denn der Inn ist ein produktives Gewässer, sagt der hiesige Fischereiaufseher Nicola Gaudenz. Es finde auch eine bemerkenswerte Naturverlaichung statt, das heisst, die Fische reproduzieren sich selbst. Etwas Sorge bereitet ihm, dass die Erosion in den Seitentälern in den letzten 10 Jahren stark zugenommen hat. Die Ablagerungen im Inn sind eine Folge der kurzen, intensiven Niederschläge im Sommer, die viel Erosion und auch Rüfen verursachen. Dabei wird der Inn nicht selten kurzzeitig sogar eingestaut.
Fische rausziehen
Rauszuziehen versuchen die Fischenden denn ihren Fang nicht nur mit Angel, Haken, Wurm, Zapfen oder Blei, sondern vermehrt auch mit Fliege. Häufig, um die Fische dann wieder vom Haken und in den Inn zu lassen. Weitere wichtige kleinere Lebewesen am und im Inn sind Steinfliegenlarven, Köcherfliegen und Eintagesfliegen.
Kurz nach Brail öffnet sich die anfängliche Schlucht wieder etwas, und der Inn plätschert friedlich vor sich hin. Lichte Waldstücke oder Grasflächen laden ein zum Verweilen und zum Eintauchen – nur akustisch – ins Gemurmel und Geplätscher. Das Dorf Zernez umströmt das Gewässer links, um sich danach noch weiter zu öffnen und sich mäandrierend Richtung Güstizia vorzuarbeiten. Just nach der unlängst erneuerten und nun noch gefährlicheren Kurve sorgt eine augenfällige Holzbrücke für die sichere Überquerung. Der Übergang, ein Gemeinschaftswerk von Jon Andrea Könz und Flurin Bischoff, stellt die normale Brücke quasi auf den Kopf. Denn er, also der Übergang respektive der Entwerfer Bischoff, spielt mit den Kurven des Handlaufs und der Brücke, welche gegenläufig sind und so eigentlich einen falschen Eindruck vermitteln.
Mit dem Kanu fahren
Den Inn kümmert das wenig. Er plätschert weiter, vorbei am Muzeum und den drei Türmen von Susch, um sich dann in einer weiten Kurve, in der auch «die Beach von Lavin» liegt, eben diesem Dorf zu nähern. Unterhalb Lavins wird es dann wieder etwas spektakulärer und der Zugang, zumindest vom linken Ufer her, schwieriger bis unmöglich, aufgrund schroff abfallender Felsen und Küstenblöcken. Am spektakulärsten und deshalb auch am beliebtesten bei den richtig guten Wildwasserfahrenden gibt sich der Inn um und unterhalb von Ardez, just nach der Hängebrücke, welche durchaus auch für Spektakel respektive Nervenkitzel beim Überqueren sorgt.
Die Schlucht von Ardez ist das, was beim Skifahren die schwarzen Pisten sind, anspruchsvoll und wirklich nur für geübte Kanut*innen zu fahren. Die weniger Geübten steigen deshalb eher nach Susch ein und irgendwo vor Ardez wieder aus oder sie beginnen erst nach Ardez.
Die andern aber, also die Geübten, kommen aus ganz Europa, um diese Schlucht zu bezwingen. Gar aus der ganzen Welt kommen die Raftguides von Engadin Adventure, welche die Gäste in ihren Schlauchbooten den Inn hinunterschiffen, zum grossen Gaudi der Passagiere, die allerdings auch rudern müssen. Ja, der Inn ist auch Freizeitangebot und Unterlage für allerlei Hobbys.
Apropos Unterlage, die liefert er auch den Flussregenpfeifern oder den Flussuferläufern. Das sind nicht Menschen mit ausgefallenen Hobbys, sondern sogenannte Watvögel, die auf den Kiesbänken entlang des Inns brüten. Dies am liebsten auf jenen der renaturierten Aue von Panas-ch. Allerdings müssen sie die Kiesbänke auch mit Fischer*innen, Brätlenden und Badenden teilen, worauf sich dann die kleinen Vögel rasch im Nachteil befinden. Denn der Inn ist auch Naherholungsgebiet. So hat Naturfotograf Cesare Mauri aus Scuol unlängst fünf Rehe mitten auf einer Kiesbank im Inn fotografiert, die tatsächlich nicht mehr wussten, wohin zu fliehen wäre. Alle Wege schienen von irgendwem abgeschnitten, worauf sich dann der Fotograf rasch aus dem Staub gemacht hat, damit die Rehe dies dann auch tun konnten.
Vögel beobachten
Nebst den Pfeifern und Uferläufern leben in der Aue von Panas-ch auch noch Wasseramsel, Graureiher oder Gebirgsstelze.
Weiter oben, wir schauen kurz zurück, lebt seit einiger Zeit gar ein Biber oder sogar mehrere dieser Spezies. Und viele Haushalte leben dort vom Inn respektive von der aus ihm produzierten Elektrizität. Dazu wird dem Fluss bei S-chanf Wasser entzogen, durch die Berge gepumpt und bei Pradella verstromt. Ein Teil des Gewinns aus dem Stromgeschäft fliesst in den Fonds für Natur, Kultur und Soziales, der von den Konzessionsgemeinden verwaltet wird.
Biathlon praktizieren
Doch nicht nur bei der Aue fliesst der Inn fast schon malerisch vorbei, das geht dort unten wirklich einfach immer so weiter. Durch Waldstücke mit Föhrenbestand und Feuerstellen, entlang von Wiesen und unterhalb des lauschigen Weilers Raschvella hindurch. Anschliessend durch die Ischla da Strada, einem Ort, an dem man mit Kindern ganze Nachmittage, wenn nicht sogar Tage verbringen kann. Beim Schiefern, Plantschen, Bräteln und Verstecken spielen. Auch etwas weiter unten verbringen kleinere und grössere Kinder ganze Nachmittage, wenn nicht sogar Tage, denn der Weiler Sclamischot beherbergt nicht nur ein kleines Industriequartier, sondern auch die Biathlonschiessanlage, welche auch im Sommer geöffnet ist. Und ehe sich`s der Inn versieht, ist er auch schon in Österreich, wo er dann irgendwann nebst Kufstein schön und grün vorbeifliesst – der En, das Wasser.