Curdin Tones macht Kunst und Kultur vor Ort, oft auch draussen.
Curdin Tones macht Kunst und Kultur vor Ort, oft auch draussen. © Dominik Täuber

Kunst vor Ort

Jürg Wirth Curdin Tones ist Künstler, wohnt in Tschlin, sprüht vor Ideen und setzt diese auch um: Brunnenbaden, Geruchsarchiv oder Plurifon sind nur einige Beispiele dafür.

Curdin Tones steht da mit Wollpullover, Bart und Brille – und brennt ein Räucherstäbchen ab. Trotzdem ist es nicht so, wie man jetzt denken könnte: Tones ist weder übertrieben esoterisch angehaucht noch kommt er grad von einem Selbstfindungstrip aus Indien zurück. 

Tones lebt in seinem Haus in Tschlin, und wenn er von irgendwoher zurückkommt, dann höchstens ab und zu aus Amsterdam, wo er Kunst studiert hat, oder noch seltener aus der Agglomeration von Zürich, dort ist er aufgewachsen. Wohl habe er sich dort aber nie richtig gefühlt, erzählt er. Denn aufgewachsen ist er ein Stück weit auch in Tschlin, dem Heimatort seines Vaters. So habe er nach den Ferien oder den Wochenenden im Unterland jeweils von seinen Erlebnissen mit Hirschen und Kühen berichtet und die Kollegen ratlos zurückgelassen. Die Jugend in Tschlin wiederum verstand nicht recht, weshalb er sich zwar für Tiere, aber nicht für Traktoren begeisterte. «Ich bewegte mich schon immer zwischen den Welten», resümiert der Kulturaktivist, «zwischen der ruralen und urbanen».

2007 verlegte er das Gewicht etwas mehr ins Rurale und kaufte ein Haus in Tschlin, weilte aber immer noch oft und gern in Amsterdam. Weil er dort Kunst machte und sich ein Leben aufgebaut hat. 

In die Gerüche der alpinen Landschaft führt Curdin Tones auf Exkursionen ein.
In die Gerüche der alpinen Landschaft führt Curdin Tones auf Exkursionen ein. © Jeroen van Westen

Kulturinitiative gegründet

2017 folgte dann der nächste und entscheidendere Schritt ins Rurale: Curdin Tones gründete die Kulturinitiative «Somalgors74», mit dem Ziel, kultur-kontextsensitiv Projekte zu lancieren. 

Ins Engadin ziehen und Kultur machen wie fast alle Unterländer*innen, die herziehen, ist man versucht zu sagen. Doch er verneint wegen eines «kolonialen» Bedürfnisses, dem ruralen Raum Kunst und Kultur zu bringen, denn das gäbe es tatsächlich schon. «Ich wohne hier, also arbeite ich auch hier.» Lautet die gleichermassen einfache wie schlüssige Begründung für sein kulturelles Engagement. Und schliesslich ist Kultur respektive Kunst ja auch sein Beruf. 

Sein erstes Projekt sorgte für grosses Aufsehen, wahrscheinlich auch, weil der künstlerische respektive kulturelle Ansatz erst auf den zweiten oder dritten Blick sichtbar wird. Das war das «Brunnenbad». Dazu baute Tones gemeinsam mit seinem Team einen Dorfbrunnen in Tschlin so um, dass man darin baden konnte. Er schuf eine Vorrichtung, um das Wasser zu heizen, platzierte Holzliegen im Brunnen, ja liess sogar das Wasser sprudeln, um einen Whirlpool-Effekt zu schaffen. Die Brunnenröhre funktionierte er zur Dusche um. In Basel habe es eine ähnliche Initiative gegeben, dort ist Brunnenbaden einfach cool, im Dorf aber sei es anders. Denn hier waren die Brunnen einst wichtig als Tränke für die Tiere, als Begegnungsort oder je nachdem auch für die Körperhygiene. Zudem motivierte der Brunnenbadinitiator einheimische Produzenten dazu, wellness-spezifische Produkte herzustellen. Das Molkebad der Käserei lag auf der Hand, die Lippenpomade der Bienenhalter beschrieb eine etwas grössere Schlaufe und die warmen Kohlblätter als entspannende Gesichtsmaske – nicht verkauftes Gemüse vom Volg – war angenehmes Anti-Food-Waste. Ja, Curdin Tones denkt in Bögen und Windungen, vernetzt anstatt nur linear. Arbeiten im lokalen Kontext, nennt er das. 

Virtuelles Sgraffito

Einmal bot er zusammen mit der TESSVM Arthur Schlatter als Spezialist für Fussmassagen auf. Dieser unterwies die Badenden kurz in dieser Fertigkeit, worauf sie sich dann gegenseitig und durchaus auch unbekannterweise die Füsse massierten. Leicht und delikat, kann man sagen. In «Pulp Fiction» hat diese Massage einen Gangster das Leben gekostet, er hat sie der Frau seines Bosses appliziert. Ein Umstand, den John Travolta und Samuel L. Jackson auf der Fahrt zum nächsten Einsatz erörtern.

Tones hingegen erörtert lieber seine Projekte und den Ansatz mit dem Bezug zum Ort und zur Landschaft. Beispielsweise beim «Augmented-reality-sgraffito». Dieses ist an seinem Haus nur noch ein QR-Code. Im Hintergrund aber lässt er jedes Jahr andere Kunstschaffende digitale Fassadenmalereien entwerfen. Und gegenwärtig entwickelt er mit Mitstreitenden und dank einem Werkbeitrag der Kulturförderung Graubünden das «Plurifon», ein Blasinstrument für vier Leute, die gleichzeitig spielen können.

Alpines Geruchsarchiv

Doch nochmals zurück zu den Füssen, denn von dort ist der Weg zum Geruch meist ein kurzer und schon befinden wir uns näher bei den eingangs erwähnten Räucherstäbchen. Patin für die Räucherwaren stand die Landschaft respektive, was sich darin findet oder besser gesagt duftet. Dem geht Curdin Tones seit 2018 auf den Grund und hat ein «Archiv der alpinen Geruchserinnerungen» angelegt. «Onkels Kragen», gehört da beispielsweise dazu oder die rauchgeschwärzte Küchenwand von früher, Ziegenzitzen oder der Geruch eines leicht angetrockneten Kuhfladens auf der Strassenpflästerung. An all dem lässt er Leute riechen, auch solche aus anderen Regionen, die ihm dann aber zu seinem Erstaunen berichten, dass sie ebenfalls einen solchen Onkel gehabt hätten oder die Grossmutter im Schwarzwald noch eine rauchgeschwärzte Küche. Die Essenzen entwickelt Tones selber in manchmal fast unzähligen Versuchen. Doch Tones geht auch raus mit den Leuten und lässt sie dort die Landschaften erriechen. Wollen sie das Errochene speichern, sammeln sie die Geruchsquellen ein und verarbeiten sie unter Curdin Tones kundiger Anleitung – zu heimischen Räucherstäbchen. 

somalgors74.ch

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