Sent nach dem Brand.
Sent nach dem Brand.

Dorfbrand von Sent und Wiederaufbau

Jürg Wirth Am 8. Juni 1921 brach in Sent ein verheerendes Feuer aus, dem 45 Häuser zum Opfer fielen, aber glücklicherweise keine Menschen. Cla Sarott aus Sent erinnert sich an das Feuer und organisiert Erinnerungsanlässe.

«Es brennt, es brennt, dort beim Clot Stupan», habe ihr Bruder Armon geschrien, erinnerte sich Tina Werro an den Brand von Sent. Die Erinnerung ist allerdings auch schon wieder eine Weile her. Das war 1986, abgedruckt in der Wochenzeitung «Engiadina» anlässlich des 65. Jahrestages des Dorfbrandes in Sent. Eindrücklich beschreibt Tina Werro das Feuer, obwohl sie zu dem Zeitpunkt erst knapp sechs Jahre alt war. Auf die Rufe ihres Bruders hin seien sie rasch aus dem Haus gerannt, wo sie zusammen mit ihrer kleinen Schwester zuschaute, wie ihre Mutter und Nina genäht hätten, aus wunderbaren roten Stoffen. Das Haus der Jungfern Elsa und Anita sei vom Widerschein des Feuers rot erleuchtet gewesen. Kurz darauf hätten sie das Feuerhorn gehört, und dann hätten auch schon die Kirchenglocken Sturm geläutet. Danach seien sie mit Gretta mitgegangen in Richtung Surataglia, wo sie in Sicherheit waren.

Tatsächlich verbreitete sich das Feuer, das in der Nähe der heutigen Bäckerei Clalüna ausbrach, rasend schnell. Zur Feuerursache kursieren noch immer Spekulationen, die zwei häufigsten sind ein Kaminbrand oder ein Sturz mit einem mit glühenden Kohlen gefüllten Bügeleisen im Stall oder ein Kurzschluss bei einem elektrischen Bügeleisen.

Die Bise habe das Feuer vor sich hergetrieben, sodass die Flammen von Haus zu Haus sprangen, Richtung Westen von Tantersaivs über Sala bis nach La Motta. Die Männer waren nicht im Dorf, sondern entweder im Wald am Holzen oder auf der Alp, um die Weiden für den anstehenden Alpauftrieb vorzubereiten. Die Frauen und Kinder im Dorf versuchten zu retten, was zu retten war, viel schafften sie allerdings nicht.

Die Hilfe kam spät

Bis dann die Männer endlich im Dorf waren, verstrich wertvolle Zeit, in der zahlreiche Häuser dem Feuer zum Opfer fielen. Doch auch aus den Nachbardörfern Scuol, Ftan und Ramosch kam Hilfe. Um 18.00 Uhr hörte die Bise auf, das Feuer beruhigte sich, und die Feuerwehr tat das ihrige um eine weitere Ausbreitung des Brandes zu verhindern. Trotzdem war die Bilanz verheerend: 45 Häuser waren komplett niedergebrannt. Acht Schweine und ein paar Hühner mussten ihr Leben lassen, glücklicherweise aber keine Menschen.

Wohl kamen die Leute nicht körperlich zu Schaden, finanziell aber schon. Einige der Hausbesitzer waren nicht versichert. Weil ihnen das Geld zum Wiederaufbau fehlte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als von Sent wegzuziehen. So wurden nur noch 29 der 45 abgebrannten Häuser wieder aufgebaut. Um die ärgsten wirtschaftlichen Schäden abzufedern, gründete die Gemeinde Sent ein Hilfskomitee, eigentlich die Glückskette dieser Zeit. Das Hilfskomitee sammelte in der ganzen Schweiz und auch im benachbarten Ausland Geld, Lebensmittel und Kleider, welche möglichst gerecht auf die Geschädigten verteilt wurden.

Vorher-nachher.
Vorher-nachher.

Wiederaufbau: Schnell und geplant

Der Wiederaufbau sollte zwar möglichst rasch vonstatten gehen, aber nicht planlos. Dafür setzte sich der romanische Schriftsteller Peder Lansel höchstpersönlich ein. Er besass damals die Mühle, die ebenfalls abbrannte und mit ihr Lansels gesamte Bibliothek mit zahlreichen romanischen Werken. Doch Lansel hatte die Bibliothek versichert und stiftete mit den 5'000.00 Fr. Entschädigung einen Architekturwettbewerb zum Wiederaufbau der Häuser.

Im Heimatschutz-Heft Nr. 5 aus dem Jahre 1921 befasste sich Jules Coulin mit dem Dorfbrand und den Bestrebungen zum schönen Wiederaufbau. Auf keinen Fall, so Coulin, sollte beim Aufbau alles nur den Brandschutzvorschriften untergeordnet werden und die Brandsicherheit als einzige Maxime herangezogen werden. «Man denke an Zernez mit seinen durch breite Abstände nunmehr isolierten, flachdächigen Häusern – für Feuersicherheit mag dort jetzt gesorgt sein, aber stark auf Kosten des baulichen Charakters und heimatlichen Wertes des Dorfbildes.»

Deshalb war Coulin froh, vermelden zu können, dass schon kurz nach dem Brand nebst Peder Lansel verdiente Persönlichkeiten wie der Architekt Nikolaus Hartmann und Pfarrer Sonderegger an die Gemeinde gelangten und sich für einen zielbewussten Aufbau, also einen Wettbewerb einsetzten. Dazu kam es dann auch. Dieser beinhaltet quasi vier Kategorien, nämlich einen generellen Bebauungsplan, den Entwurf zu einem Bauernhaus, den Entwurf zu einem Kleinbürgerhaus sowie Vorschläge für die Typisierung einer Zimmertüre und eines Normalfensters. Zur Festlegung und Besprechung des Wettbewerbprogramms waren auch die Senterinnen und Senter eingeladen, was für die damalige Zeit revolutionär war. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde festgelegt, dass die Dächer mit Eternit eingedeckt werden sollten.

Auch Leza Dosch geht in seinem Buch «Entwurf im Wettbewerb – Zur Architekturgeschichte Graubündens 1850 bis 1930» auf den Wiederaufbau von Sent ein. So weiss Dosch über eine hochkarätig besetzte Wettbewerbsjury zu berichten, der unter anderem die Architekten Hans Bernoulli und Karl Moser angehörten. Ersterer hat unter anderem die Bernoulli-Häuser in Zürich oder die Siedlung zum Langen Loh in Basel gebaut. Moser steht für den Badischen Bahnhof in Basel oder die Post in Baden. Bereits am 7. August 1921 erliess die Gemeinde Sent ein neues Baureglement, danach schrieb sie den Wettbewerb aus. In Ergänzung zu den bereits oben erwähnten Kriterien sei noch eine Anforderung aus dem Buch Leza Doschs erwähnt: «Ueberhaupt ist es Sinn und Zweck des ganzen Bebauungsplans, die Ordnung der Beziehungen jedes einzelnen Hauses zu seinem Oekonomiebetriebe, zum Garten, zur Strasse, zum Nachbarhause, zu Sonne und Licht, sowie schliesslich zum ganzen heimatlichen Dorf- und Landschaftsbilde in möglichst vollem Masse herzustellen.» Ansprüche, die heute offensichtlich nicht mehr so hoch gewichtet werden.

Am 6. Oktober war bereits Abgabeschluss für die Wettbewerbsbeiträge. Erfolgreichste Teilnehmer waren Nicolaus Hartmann, Max Schucan und Enrico Bisaz aus Zernez.

Allein, die Wettbewerbsergebnisse wurden nicht eins zu eins umgesetzt. Doch als Resultat dieses Wettbewerbes wurden 26 Häuser einheitlich wieder aufgebaut. Drei Häuser in Sala durften etwas spezieller sein. Für deren Entwurf zeichnete der Architekt Enrico Bisaz verantwortlich. Vor allem aber wurden die Häuser in 14 bis 15 Monaten Bauzeit wieder aufgebaut und waren bereits an Weihnachten 1922 bezugsbereit.

Daran dürfte auch Luzi Vital, damals Kreiskommandant, Freude gehabt haben. Wie er in einem Brief an Jon a Biel festhielt, feierte er am 8. Juni Geburtstag und begleitete einen Freund bis champ Tuffera, als er den Brand im Dorf erblickte. Das Dach des Hauses von Jon habe bald gebrannt, so Vital, die eine Hälfte war ganz weg, die andere in Stücken. Doch auch sein eigenes Haus wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Abends um sieben durfte er es betreten, durch die alte Haustüre. Überall habe es viel Wasser gehabt, dazu verkohlte Holzstücke, die Stuben aber seien noch da gewesen.

Maggi hat geholfen.
Maggi hat geholfen.

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