Die Schweizer Illustrierte und ihr welsches Pendant Illustré sind nicht unbedingt für Berichterstattungen aus der Tech-Welt bekannt. Viel eher kennt man die Homestorys und Badewannen-Geschichten mit Promis. Nichtsdestotrotz haben die beiden Magazine letztes Jahr den Wettbewerb zum Digi-Tal 2021/2022 ausgerufen. Dabei ging es darum, welches die «digitalste» Region der Schweiz ist. Am Ende war es dann denkbar knapp, nur 100 Stimmen gaben den Ausschlag für das Engadin und verwiesen das Entlebuch auf Platz 2. Jon Erni, treibende Kraft, und sein Team freuen sich sehr über diese Auszeichnung für das Tal und ihre Arbeit. Sie tragen das Label Digi-Tal mit Würde und sehen es auch als grosse Motivation, die angestossenen Projekte mit vielen verschiedenen Partnern weiter voranzutreiben und die Digitalisierung sichtbar und erlebbar zu machen. Obwohl Erni aus dem Unterengadin kommt und die ersten Stützpunkte von miaEngiadina daselbst waren, ist es ihm wichtig zu betonen, dass das Digi-Tal und auch die Arbeit des Teams das ganze Engadin betrifft, also Unter- und Oberengadin gemeinsam.
Beginn vor sieben Jahren
Der Grundstein für den Preisgewinn, so Erni, sei vor sieben Jahren gelegt worden. Damals hätten sich die Gemeinden und ein Team, aus dem später miaEngiadina entstand, für die Digitalisierung im Tal entschieden. Der Entscheid mündete in zahlreichen Projekten, welche die Gemeinden, miaEngiadina aber auch Partner aus der Region wie beispielsweise Energia Engiadina gemeinsam an die Hand nahmen. Darunter waren das Glasfaserprojekt, in dem es darum ging und geht, alle Gemeinden des Unterengadins bis nach Zuoz ans Glasfasernetz anzuschliessen. Möglich wurde dies auch, weil Not Carl, einer der Ideengeber für miaEngiadina, mit der Rhätischen Bahn einen Deal aushandeln konnte, gemäss dem die Betreiber der Eisenbahn das Glasfaserkabel durch den Vereinatunnel ins Engadin führten. Weil im Engadin gerade die Stromleitungen in den Boden verlegt wurden, legte man auch noch ein Leerrohr ein, in welches dann das Kabel gezogen werden konnte. Mittlerweile, so Erni, nutzen 400 Haushalte und Unternehmen die Glasfaserdienste von miaEngiadina. Insgesamt 12'000 Nutzungsobjekte gibt es im Einzugsgebiet und Ziel von miaEngiadina ist es, 10 Prozent davon anzuschliessen. Gut gerechnet ist man also bald in der Hälfte. In der Zwischenzeit hat auch Swisscom ihre Netzausbautätigkeiten im Engadin intensiviert. Damit ist die Verfügbarkeit von hohen Bandbreiten gestiegen. Wohl sind die Abopreise für Internet bei Swisscom höher als bei miaEngiadina, dafür kostet der Anschluss nichts, weil Swisscom auf den letzten Metern die Kupferkabel nützt, welche bereits installiert sind. Weil viele Kunden bereits Swisscom-Abos für TV und Mobile besässen, würden diese kaum kündigen und bei Swisscom bleiben. Um alle interessierten Kunden bedienen zu können, haben miaEngiadina und Swisscom in der Zwischenzeit eine Vereinbarung getroffen, die es miaEngiadina erlaubt, ihre Dienste über das Netz der Swisscom zu liefern.
Schule und Tourismus
Weiter hat miaEngiadina das Projekt «miaScoula» aufgebaut, dessen Ziel es ist, die Schulen im Tal digital zu machen, sodass auch ein hybrider Unterricht, also zu Hause und vor Ort möglich ist. Dies hat sich vor allem in der Corona-Zeit äusserst positiv ausgewirkt. Denn das Homeschooling verlief im Engadin ziemlich problemlos – jedenfalls was die technische Seite betrifft. Prägend fürs Digi-Tal und quasi die erste Sichtbarmachung von miaEngiadina waren und sind die Coworking Spaces, welche in Scuol, La Punt und an anderen Orten entstanden sind. Quasi der Leuchtturm diesbezüglich soll in La Punt Chamues-ch mit dem InnHub entstehen. Auf diese Weise sind Plätze für die digitalen Nomaden entstanden, welche diese dankbar angenommen haben.
In Zusammenarbeit mit der Tourismusdestination Engadin Samnaun Val Müstair hat miaEngiadina schliesslich eine App entwickelt. Die engadin.app, wie sie heisst, ist ein digitaler Reisebegleiter, der auch noch weiter ausgebaut werden soll.
Überhaupt das Ausbauen: «Wir müssen am Ball bleiben», antwortet Erni auf die Frage, was es brauche, damit das Engadin auch das Digi-Tal bleibe. Es gelte, die Chance zu nutzen, dass immer mehr Leute im Tal arbeiten wollen, sagt Erni. Wir möchten in unserer Community auch noch mehr Mitglieder, welche die Vision von miaEngiadina teilen. Über 1100 Mitglieder nutzen bereits heute die Vorzüge des Vereins.
Am Ball bleiben heisst aber auch, die bestehenden Angebote oder Produkte zu erweitern und weiterzuentwickeln. So soll die engadin.app um einen digitalen Marktplatz ergänzt werden. Im Vordergrund stehen dort beispielsweise der Kauf von Skitickets, aber auch das Buchen von Touren oder der Hinweis auf Events und andere Angebote.
Der InnHub La Punt wurde schon erwähnt. Dieser ist momentan das zentrale Projekt für miaEngiadina, da es auch die grösste Ausstrahlung hat. «Wir stecken viel Energie hinein», sagt Erni, «damit wir bald bauen können.» Nebst dem neuen Hub sollen die bestehenden erweitert werden. Dazu kommt quasi das umgekehrte Angebot im Unterland. In Zürich und Luzern sollen Coworking Spaces für Engadiner Unternehmen entstehen, die im Unterland einen Bezugspunkt benötigen.
Co-leben und -wohnen
Und weil sich miaEngiadina dem «Co-», also dem Miteinander, verschrieben hat, denkt Erni schon etwas weiter. Eine neue Art von Co-living schwebt dem umtriebigen Macher vor. Er könnte sich vorstellen, für die Mitarbeitenden, welche gewisse Zeit im Engadin verbringen, Wohnungen zu mieten oder noch besser, vielleicht direkt selber welche zu bauen. Denn nicht ganz von der Hand zu weisen ist, dass mit dem Aufschwung des Engadins als Home-Office-Arbeitsort erheblicher Druck auf den Wohnungsmarkt entstanden ist. Gerade Einheimische suchen oft lange und zum Teil vergeblich bezahlbare Wohnungen, auch weil die Home-Office-Worker mehr Zeit im Tal verbringen und die Wohnung, die vorher vielleicht Ferienwohnung war, gerade gekauft haben.
Deshalb das Co-living von Erni. Denn, so sagt er sich, wenn die Leute nur für eine gewisse Zeit ins Engadin kommen oder nicht immer hier sind, so wäre doch eine Art WG platzsparender und auch sinnvoller, als wenn alle etwas kaufen oder selber bauen. Ein Ansatz, der durchaus auch zur Titelverteidigung als Digi-Tal beitragen könnte. Und vielleicht gibt es dann auch mal noch eine Promigeschichte aus dem Engadin in der Schweizer Illustrierten: Not Carl würde sich aufdrängen oder natürlich Jon Erni.