Imke Marggraf begrüsst mich in ihrem Therapieraum im Center Augustin in Scuol. Marggraf bietet Dramatherapie an, etwas, worunter ich mir ehrlich gesagt nicht viel vorstellen kann. Bei Drama denk ich an «Drama», Tragödien, eher so etwas Schlimmes halt, von daher bin ich gespannt, was mich hier erwartet. Der Raum ist leer bis auf ein paar Schachteln und Kisten, gefüllt mit Requisiten für Schauspiel und Theater. Tatsächlich steht «Drama» für ein literarisches Werk, das im Theater aufgeführt werden soll, also ein Theaterstück. Drama bedeutet also vor allem Theater.
Und so steigen wir dann auch ein. Wir liegen je auf einer Wolldecke und Marggraf fordert mich auf, das Erwachen am Morgen nachzuspielen. Das Strecken und Räkeln, das Gähnen und das Zu-sich-kommen. Kann ich, mach ich ja schliesslich jeden Morgen. Danach spazieren wir auf verschiedenen Wegen durch den Raum, die Decke unter den Arm geklemmt oder vor der Brust gefaltet. Das erinnert mich etwas an meine ersten Theatererfahrungen als 13-Jähriger. Damals war der Plan, dass wir in unserer Schule ein grosses Theater mit verschiedenen Klassen aufführen sollten. Deshalb kamen Leute des Theaters Spatz, um mit uns zu üben. Die erste Übung hiess, «sich frei im Raum bewegen», im ähnlichen Stil ging es weiter. Die Begeisterung unter uns Kindern hielt sich in Grenzen.
Mittlerweile bin ich aber grösser und älter und lasse mich auf die Anweisungen der Therapeutin ein. Ziehe die Decke wie einen Baumstamm hinter mir her, weil diese nun, gemäss Übungsbestimmung, sehr schwer ist.
Spielerischer Ansatz
Anschliessend leert Imke Marggraf einen Beutel mit allerlei lustigem Inhalt auf den Boden und fordert mich auf, zwei, drei Sachen davon zu nehmen. Ich entscheide mich für eine alte Lira-Note, zwei Muscheln und eine Art gefilzte Koralle und denke dabei ans Meer und Italien.
Dann gibt es wieder eine Überraschung: Marggraf liest einen kurzen Text von Tim Krohn vor. Darin hat ein Erfinder gerade ein neues Wort erfunden, welches er in die Freiheit entlässt, wo es sich aufbaut und gegen die Dunkelheit wehrt. Erst muss ich die Geschichte mit meinen Utensilien darstellen, dann auch noch körperlich, wobei ich mich gross mache.
Zum Abschluss gilt es noch, meinen Platz auf einem umgedrehten Stuhl inmitten von Zeitungen zu erobern. Ich nehm den Stuhl, dreh ihn um und setze mich darauf und beginne Zeitung zu lesen. Derweil bewirft mich Marggraf mit zusammengeknülltem Papier oder versucht mir, die Zeitung aus der Hand zu reissen. Da meine beiden Kinder aber auch mal klein waren, kann ich mich gut dagegen wehren.
Im Gegensatz zu einer «richtigen» Therapiestunde komme ich nicht mit einem spezifischen Anliegen und Imke Marggraf vertieft das Spiel nicht. Das aber ist der Fall, wenn sich Menschen für eine Dramatherapiestunde oder auch mehrere anmelden. Die Methode, erklärt mir Marggraf, ist von vielen Krankenkassen anerkannt. Marggraf gibt Lektionen und Übungen für Teams, Einzelpersonen, aber auch für Paare. Sie geht mit ihren Übungen auch ins Altersheim oder arbeitet mit Menschen mit Demenz. Und egal, was die Erkenntnisse aus einer Stunde sind: Ein spielerisches Abtauchen in eine andere Welt und ein kurzer Ausstieg aus dem normalen, vielleicht hektischen Alltag ist es im Mindesten.
Theater-Workshops gibt es jeden Samstag von 10.00 bis 11.30 Uhr (Erwachsene) und von 14.30 – 16.00 Uhr (Kinder); montags 19.30 – 21.00 Uhr (Paare).