*Wobei «Urgestein» eigentlich falsch ist, eher ein «Soft Rocker», da sich Christian Schlüchter primär mit Lockergesteinen befasst hat.
Das Gelände wird immer steiler. Trotz seiner mittlerweile 74 Jahre steigt Christian Schlüchter zügig hinauf über den Schuttfächer der Val Brüna – ein Seitenarm des Fuorn-Tales. Das Tal verengt sich immer mehr, bis wir schliesslich in einem regelrechten Schlitz stehen.
Welche geologischen Fragestellungen führen dich in diese einsame Ecke des Nationalparks?
In den 1990er-Jahren wurden in Sedimentproben aus dem Ausgleichsbecken Ova Spin erhöhte Quecksilber-Konzentrationen gefunden. Es stellte sich rasch die Frage, woher das Schwermetall stammen könnte. Zuerst gingen wir von menschgemachten Quellen aus. Doch es zeigte sich, dass der Ursprung des Quecksilbers anderswo lag. Detailliertere Untersuchungen ergaben, dass vor allem im südlichen Becken des Ova Spin-Staubeckens erhöhte Konzentrationen von Quecksilber auftraten. Im Rahmen der Diplomarbeit von Daniel Locher fanden wir dann heraus, dass die höchsten Konzentrationen im Bereich des Schuttfächers der Val Brüna auftreten – eben an dem Ort, wo wir uns gerade befinden. Hier im Gestein liegt also die Quelle des Quecksilbers.
Nach der Rückkehr aus der engen Val Brüna nutzt Christian Schlüchter die Gelegenheit, um einzelne Quellen zu besuchen. Eine ganz besondere Quelle ist die Schwefelquelle bei Il Fuorn.
In mehreren Projekten hast du dich auch mit den Quellen im SNP befasst, so etwa mit der bekannten Schwefelquelle bei Il Fuorn. Was hast du dabei herausgefunden?
Das ist eine ganz besondere Quelle. Der fehlende Sauerstoff im Wasser und das damit verbundene lebensfeindliche Umfeld, die toten Bäume, der leichte Schwefelgeruch – das vermittelt einen Hauch von Höllen-Atmosphäre (strahlt). Die Quelle sieht immer wieder anders aus. Meine Hypothese ist, dass sich das Wasser bei seinem langen Weg durch die karstfähigen Raiblerschichten mit Kalzium und Sulfat aus den gipshaltigen Gesteinen anreichert. Hier sind allerdings noch weitere Untersuchungen nötig, um die geologischen Zusammenhänge besser zu verstehen.
D.h., dass du immer noch weiterforschen möchtest? In deinem Alter könntest du ja mit gutem Gewissen im Emmental vor deinem Heimetli sitzen und die Sonne geniessen, statt hier in den Bergen herumzukraxeln?
Zuhause ist es mir zwar nie langweilig, unter anderem hält mich die recht zeitintensive Imkerei auf Trab. Doch bei der Arbeit im SNP geht es mir vor allem noch darum, angefangene Projekte abzuschliessen und die Resultate in einer Publikation zusammenzufassen. Dies werde ich in der Reihe Nationalpark-Forschung in der Schweiz publizieren, der entsprechende Band hat sogar bereits eine Nummer, da muss ich jetzt liefern (schmunzelt).
Du hattest das Privileg, dich in einer Zeit als Geologe zu betätigen, in der man noch eine Art Universalgelehrter sein konnte. Das zeigt sich ja auch in den sehr unterschiedlichen Projekten, die du betreut hast. Deshalb die Frage: Würdest du heute nochmals Geologie studieren?
Und wie! Ich bin zwar jetzt alt und muss mir zum Glück nicht überlegen, was ich im Falle einer zweiten Chance machen würde (sein spitzbübisches Lächeln und der klare Blick kontrastieren markant mit der Altersaussage). Ich bin aufgewachsen mit ein paar Bezugspersonen, die mir sehr vieles vermittelt haben. Mit ihnen konnte ich darüber sprechen, wie es wäre, Geologie zu studieren. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich das Berufsbild des Geologen stark verändert. Der Computer hat seine Spuren auch in der Geologie hinterlassen, vieles wird heute modelliert. Wenn wir das alles modellieren könnten, dann müssten wir ja nicht da rauf auf den Berg (lacht). Vieles passiert heute am Schreibtisch statt im Feld. Ich sehe einerseits, dass zahlreiche junge Menschen ein Interesse daran haben, etwas draussen in der Natur zu erfahren. Etliche jammern, dass sie kaum mehr rauskommen. Geologinnen und Geologen verlieren dabei vieles: Es sind nicht nur die schmutzigen Schuhe, die etwas im Kopf auslösen.
Wie kamst du als junger Emmentaler überhaupt dazu, Geologie zu studieren?
Oh, das ist eine lange Geschichte. Ich bin auf einem Emmentaler Bauernhof aufgewachsen und wollte eigentlich Forstwissenschaften studieren. Doch dann gab es ein Ereignis, das meine Pläne durcheinanderbrachte. Wir haben auf unserem Land eine Quelle, die der Gemeinde für die Wasserversorgung dient. In diesem Zusammenhang gab es einen Rechtshandel und mein Vater hat die Angelegenheit an das Berner Obergericht weitergezogen. Deshalb erhielten wir Besuch von Geologie-Professor Rolf Rutsch, der ein geologisches Gutachten erstellte. Für Rutsch habe ich daraufhin in der Blasenfluh im Emmental Fossilien gesucht und damit mein erstes berufliches Sackgeld verdient. Ich bin an den Sonntagen losgezogen und es hat nie Mittagessen gegeben, bevor ich nicht eine erste Fundstelle ermittelt hatte – das war mein Ehrgeiz. Schlussendlich hat mir Professor Rutsch das Geologiestudium schmackhaft gemacht.
Das vollständige Interview ist in der neusten Ausgabe der Nationalparkzeitschrift CRATSCHLA abgedruckt.