Béatrice Miller: Politikerin und digitale Bildungsinitiantin
Dass Béatrice Miller im Unterengadin gelandet ist, ist kein Zufall. Das Tal im Allgemeinen und Tarasp im Speziellen kennt sie schon von Kindesbeinen an. «Wir hatten Verwandte in Tarasp und verbrachten fast alle Ferien dort», erinnert sie sich. Trotzdem hat es dann noch eine geraume Weile gedauert, bis sie sich vorstellen konnte, ihren Lebensmittelpunkt oder zumindest einen Teil davon ins Unterengadin zu verlegen. Vor etwa zehn Jahren sei bei ihr der Wunsch aufgekommen, sich in Scuol nach einer Zweitwohnung umzusehen. Zentral gelegen sollte sie sein, nahe beim Bahnhof und mit Internet ausgestattet, denn die Wohnung sollte nicht nur Feriendomizil, sondern auch Homeoffice sein. Auch weil hier die Haselpollen später und in kleinerer Konzentration fliegen und ihre Allergie so besser auszuhalten ist.
Dank Internet kam sie dann auch gleich noch zu einem neuen Job. Sie nahm mit Jon Erni von Mia Engiadina wegen der Bildungsinitiative «miaScoula» Kontakt auf, weil sie in einem ähnlichen Bereich tätig war. Die Dr. sc. techn. ETH leitete bei der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften den Bereich Nachwuchsförderung. So kam es, dass sie nicht nur schnelles Internet erhalten hatte, sondern auch eine Teilzeitanstellung für die Bildungsinitiativen sowie die Öffentlichkeitsarbeit bei Mia Engiadina. Doch ihrem politischen Amt im Kanton Zürich ist Béatrice Miller trotzdem treu geblieben. Sie amtet als Bezirksrätin für den Bezirk Dietikon, sicher nochmals für vier Jahre, weil sie eben wiedergewählt worden ist. Dazu fährt sie alle zwei Wochen für ein paar Tage ins Unterland, zwecks Aktenstudium und Sitzungen. Weil sie dies mit dem Zug tut und im Unterengadin immer wieder Ruhe findet, ist sie deutlich entspannter und weniger gestresst als früher. Ihr Modell sieht sie durchaus auch für andere als machbar, zumindest für Personen, die zeitweise ortsunabhängig arbeiten können und die aus der Bergwelt Kraft schöpfen.
Doris Kaufmann, Anders Emmerich, Eskil und Filippa: Von der Stadt nach Ardez
Geplant war es als Experiment. Das Experiment dauert mittlerweile gut zwei Jahre. Doris Kaufmann, Anders Emmerich mit Eskil und Filippa verbrachten ab 2007 ihre Ferien in Ardez und wollten dann dorthin ziehen, wo sie ihre Ferien verbringen, in ihr «Paradiesli», wie sie es nennen. Sie kauften 2016 ein Haus in Ardez, das als Ferienhaus geplant war und verlegten zwei Jahre später ihren Wohnsitz ins Unterengadiner Dorf. Das erste Jahr sei tatsächlich paradiesisch gewesen, erinnert sich Doris Kaufmann, schlicht wunderbar hätten sie sich gefühlt.
Sie begann als Beiständin im Tal und Anders in der Software-Branche – während drei Tagen in Zürich. Auf die erste Euphorie folgte dann die Realität des Alltages, die vielleicht doch nicht immer ganz so paradiesisch war. Das Tal wurde mit seinen Sonnen- und Schattenseiten gesehen. Dennoch zog sie in dieser Zeit Kraft aus der Natur, aber auch aus der erdigen und unaufgeregten Art der Einheimischen.
Doris Kaufmann schätzt es, dass hier nicht ständig eine Reizüberflutung herrsche, wie es in Zürich der Fall sei, wo sie vorher gewohnt hätten. Auch die Übersichtlichkeit und die Dorfgemeinschaft findet sie schön, während Anders eher ein Verfechter der Anonymität der Stadt ist.
So ganz ohne Stadt respektive die Freunde dort kann aber auch Doris nicht. Deshalb unterrichtet sie wieder einen Tag pro Woche an einer Schule in Wallisellen. Dies ist eine ideale Ergänzung zu ihrer Tätigkeit als Mediatorin, die sie hier wie auch im Unterland ausübt. Darin bietet sie Unterstützung bei Konfliktsituationen, vor allem im schulischen und familiären Bereich an.
«Ich freue mich wieder auf eine Ration Stadtleben und die Nähe alter Freunde zwischendurch.»
In die Zukunft schauen sowohl Doris wie auch Anders gespannt. Anders könnte sich Ardez als Ferienparadies wieder vorstellen, die Kinder, welche mittlerweile die Volksschule in Ardez und Scuol besuchen, haben hingegen klarere Vorstellungen. «Sie wollen vorerst hierbleiben», sagt Doris.
Simon Könz, Mona Ledergerber, Giosch, Marietta und Lorin: Heimkommen nach Guarda
Für ihn war es etwas wie heimkommen, für sie irgendwie auch. Er ist Simon Könz, und sie heisst Mona Ledergeber. Gemeinsam mit ihren Kindern Giosch, Marietta und Lorin sind sie vor anderthalb Jahren von Zürich nach Guarda gezogen. Er hätte nirgendwo anders hinkönnen als nach Guarda, sagt Simon Könz. Tatsächlich ist er der Enkel von Selina Könz, der Autorin vom Schellen-Ursli und Sohn des Künstlers Steivan Liun Könz. Und beim Hauskauf hat er das Erbe seiner Grossmutter reinvestiert. Mona Ledergerber kommt zwar nicht aus dem Engadin, kennt aber als Davoserin immerhin die langen Winter, ein nicht zu unterschätzendes Startkapital für das Leben im Engadin. Doch trotz Heimkommen und Startkapital war beiden von Anfang an klar, dass sie ihre bisherigen Jobs behalten wollten. Sie arbeitet als Logopädin in einem integrativen Kindergarten in Opfikon und ist spezialisiert auf fremdsprachige Kinder. Simon ist Tonmeister und arbeitet im Schulstudio des Tonmeisterlehrganges an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).
Der Umzug nach Guarda war und ist nebst dem Heimweh auch Sehnsucht nach mehr Platz und einem Ort zum Gestalten geschuldet. Mona Ledergerber hat ihr 50-Prozent-Pensum auf zwei Tage komprimiert und ist jeweils montags und dienstags in Opfikon. Simon ist die darauffolgenden Tage in Zürich und absolviert ein 70-Prozent-Pensum. Weil bereits früher beide Eltern abwechslungsweise für die Kinder gesorgt hätten, gebe es diesbezüglich keine grosse Veränderung. Zudem ist Giosch, der jüngste, bereits drei Jahre alt. «Mit einem Baby hätte ich das nicht gemacht», sagt Mona Ledergeber. Allerdings lebt das Paar jetzt in einer Art Wochenendbeziehung, da sie sich unter der Woche nur an einem Abend zur «Übergabe» sehen. Damit hätten sie umgehen lernen müssen.
Trotzdem haben sie ihren Umzug bis jetzt keine Sekunde bereut, auch den Kindern gefällt es gut, und von der Schule in Ardez sind sie begeistert. Am ersten Schultag seien sie neu als Familie mit drei Kindern offiziell und persönlich begrüsst worden. Im Dorf und in der Gemeinschaft fühlen sie sich wohl, und zudem ergäbe ihr Arbeits- und Lebensmodell auch neue Freiräume. Heimkommen und trotzdem weg sein, quasi.
Jon Erni: Von Scuol ins Unterland und wieder etwas zurück
Nicht vom Unterland in die Berge, sondern vom Engadin ins Unterland führte der Weg von Jon Erni. Zumindest halb. «Für mein Studium musste ich das Tal verlassen», sagt er, um sogleich anzufügen, dass er seine Freizeit immer im Engadin verbracht habe. Nur hatte er davon nicht immer so viel. Seine Tätigkeiten im Management von Technologieunternehmen liessen das nicht zu. Erst ab 2013 gings wieder vermehrt aufwärts – ins Engadin. Damals unterschrieb er bei Microsoft und liess sich mehr Flexibilität bezüglich Arbeitsort zusichern. Er begann häufiger von Scuol aus zu arbeiten und fuhr meist schon am Mittwoch oder Donnerstag wieder von Zürich hoch. Frau Simone und Tochter Ladina folgten dann jeweils fürs Wochenende. In diese Zeit fiel der Startschuss für die Initiative von Mia Engiadina, auch weil Erni bemerkte, wie wichtig ein schnelles Internet für diese Art von Arbeiten war. 2018 verliess er Microsoft und widmete sich ganz Mia Engiadina. Schnell fiel ihm auf, dass er mitnichten der Einzige ist, der ein solches Modell betreibt. Ein Eindruck, der sich mit dem Lockdown noch verstärkt hat. Immer mehr Leute würden hier von ihren Zweitwohnungen aus arbeiten oder ganz hochziehen. Damit diesen dann nicht die Decke ihres Zweitheims auf den Kopf fällt, weilten viele von ihnen einige Tage pro Woche in einem der Hubs im Tal, sagt Erni, um nebst dem schnellen Internet vor allem vom Austausch mit Gleichgesinnten zu profitieren.
Auch Erni braucht Austausch nicht nur im Engadin, sondern vor allem auch in Zürich. Er liebe die Internationalität in der Stadt, aber auch Scuol als Rückzugsort. Bei Tochter Ladina stünde der Rückzugsort hingegen nicht mehr ganz so hoch im Kurs wie auch schon, verrät Erni noch.