Es war im September 1981, Oswald Toutsch erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. Zu jener Zeit war er Gemeindepräsident der Gemeinde Tschierv und selbstverständlich passionierter Jäger. Wie jedes Jahr waren für Ende September Volksabstimmungen angesetzt, diesmal ging es um eine kantonale Vorlage, bei der Geld für ein Strassenprojekt zu bewilligen war.
Toutsch hatte die Abstimmungsunterlagen von der Kantonalen Kanzlei termingerecht erhalten. Anstatt diese dann aber gleich an die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zu verteilen, legte er sie mal zur Seite, weil er sie später verteilen wollte. Ein heikler Entscheid, wie sich zeigen sollte. Denn es kam die Jagd und was tut da ein richtiger Münstertaler oder auch die Engadiner? Richtig, sie gehen auf die Jagd. Es kam auch der Abstimmungstermin, ohne dass in Tschierv jemand abgestimmt hätte, weil ja eben die Unterlagen fehlten. «Die meisten haben gar nichts gemerkt», ist Toutsch bis heute überzeugt. «Vielleicht haben sie gedacht, ihre Frau hätte die Unterlagen irgendwo ver- oder entsorgt.» Jedenfalls traf aus der kleinen Gemeinde im Val Müstair keine einzige Stimme in Chur ein. Alleine, dort blieb das nicht unentdeckt. Um etwa 15 Uhr erhielt Oswald Toutsch ein Telefon aus Chur mit der Frage, wo denn die Abstimmungsresultate blieben. «Auf die könnt ihr lange warten», gab Toutsch keck zur Antwort, um etwas kleinlauter anzufügen, dass er vergessen habe, diese zu verteilen. Daraufhin war plötzlich Dr. Caviezel, Leiter der kantonalen Kanzlei am Telefon, um sich aus erster Hand zu erkundigen. Toutschs Antwort war aber immer noch die gleiche. Allerdings bot er an, die Stimmzettel sofort eigenhändig zu verteilen und die Resultate gleich wieder einzuziehen. Das wollte der Dr Caviezel nicht, also beschwichtigte Toutsch mit dem Argument, dass die Stimmen der Tschierver das Resultat kaum auf den Kopf gestellt hätten. Schliesslich liess es der Kanton bleiben, da eine Wiederholung der kantonalen Abstimmung 40000 bis 50000 Fr. gekostet hätte.
Allerdings sei dann in der folgenden Woche ein Brief des Kantons gekommen, in dem sie den Gemeindevorstand auf Rechten und Pflichten hingewiesen hätten. «Wir haben uns darauf in aller Form entschuldigt», worauf sich die Lage im Kanton beruhigte. Nicht so aber in den Medien, für die war das ein gefundenes Fressen. Und Toutsch erhielt gar eine Einladung von Hans Gmür in die Sendung «Samschtig am 8ti».
Irgendwann sei dann aber das grosse Medieninteresse abgeflacht und langsam Gras über die Sache gewachsen, sagt Toutsch. Und er habe später erfahren, dass auch Davos schon mal eine Abstimmung vergessen habe und Lü ebenfalls. Das habe ihn beruhigt, da er nicht der einzige war.