Kaum zu glauben, aber sogar im Schweizerischen Nationalpark (SNP) gibt es Popstars. Sie singen entlang der Ofenpassstrasse und mitten im Park. Wer dem gesamten Chor lauschen möchte, der muss früh aufstehen. Denn bereits in der ersten Dämmerung beginnt es aus allen Ecken zu pfeifen und zu tönen. Hier ein melancholisch flötender Gesang, da ein «Vicevice» und dort ein «Fink, Fink, Fink, schreibt an die Regierung». Alles zusammen ein überwältigendes Ensemble verschiedenster Stimmen. Der Morgenchor der Vögel ist für manche Menschen ein rotes Tuch. Nicht jeder wird gerne um vier Uhr früh geweckt. Und doch würden sie fehlen, die Vögel, wenn es sie nicht gäbe.
Fragen über Fragen
Aber wieso sind Vögel bereits so früh am Morgen aktiv? Was beeinflusst ihre innere Uhr? Und welche Rolle spielt der Mensch dabei?
Diesen Fragen und noch einigen mehr widmet sich eine Doktorarbeit. Zur Datenerhebung arbeiten wir mit automatischen Aufnahmegeräten. Wir programmieren diese im Büro, damit diese zu den richtigen Zeiten aufnehmen. Anschliessend hängen wir sie dann im Wald auf. Dort bleiben sie für mehrere Wochen und «belauschen» die Vögel. Zurück im Büro werten wir die Aufnahmen aus, identifizieren die einzelnen Vogelstimmen und bestimmen den Gesangsstart der verschiedenen Arten. Dabei helfen uns sogenannte Spektrogramme. Durch sie ist es möglich, den Ton in ein Bild zu verwandeln, und die Klänge bekommen Farben. Jede Vogelart hat einen spezifischen Gesang. Mithilfe der Spektrogramme lassen sich die verschiedenen Arten optisch und akustisch unterscheiden.
Abgesehen vom Tannenhäher zählen folgende Arten zu den am häufigsten vorkommenden Singvögeln im Bergwald des SNP: Singdrossel, Rotkehlchen, Tannenmeise, Alpenmeise und Buchfink. Die ersten beiden Arten sind richtige Frühaufsteher unter den Vögeln. Sie beginnen meist bereits etwa 40 Minuten vor Sonnenaufgang zu singen. Durch ihre verhältnismässig grossen Augen sehen sie schon bei wenig Licht und sind deshalb auch früh aktiv. Meisen und Finken hingegen haben verhältnismässig kleine Augen und benötigen deshalb mehr Licht zur Orientierung.
Was beeinflusst den Gesang?
Wir wollen nun wissen, welche Faktoren den Gesangsstart der beiden Artgruppen beeinflussen. Gibt es unterschiedliche Faktoren für Frühaufsteher und Langschläfer? Handelt es sich um rein natürliche Faktoren? Oder gibt es auch menschliche Einflüsse, welche den Gesangsstart beeinflussen? Besteht möglicherweise ein Zusammenhang zwischen dem Strassenlärm der Ofenpassstrasse und dem Gesangsstart der verschiedenen Arten?
Um diese Fragen zu beantworten, haben wir die Aufnahmegeräte entlang der Wanderwege und der Ofenpassstrasse (inkl. Baustellen) aufgehängt. Dadurch erhielten wir sowohl Standorte mit hoher menschlicher Lärmbelastung, als auch mit minimaler Störung. Wir haben die Aufnahmegeräte so platziert, dass einerseits alle Höhenlagen vom Tal bis zur Waldgrenze und andererseits alle Expositionen (Nord, Ost, Süd, West) abgedeckt sind. Da die Aufnahmen mehrere Wochen dauern, berücksichtigen wir auch die Mondphasen. Diese und weitere Faktoren (z.B. Temperatur) können einen Einfluss auf den Gesangsstart der Popstars im SNP haben.
Die ersten Auswertungen zeigen, dass der Mond eine grössere Rolle spielt, als wir wohl annehmen würden. Doch welche der genannten Faktoren letztlich ausschlaggebend sind und welche Artengruppen wie beeinflusst werden, das werden erst die weiteren Auswertungen zeigen.
Ziemlich sicher ist jedoch, dass uns die Popstars vor den Fenstern auch in Zukunft um vier Uhr früh aus den Federn singen werden.