Auf dem Stubentisch breitet Ursina Mauri ein Blatt aus, das einen Eisberg zeigt. «5 Prozent» heisst es bei dem Teil, der aus dem Wasser ragt und «95 Prozent» bei dem im Wasser. Die 5 Prozent stehen für die rationalen Fähigkeiten und das Bewusstsein des Menschen, die anderen für die unterbewusste Seite. Die Quintessenz der Grafik, die 95 Prozent des Nichtsichtbaren oder Unterbewussten, leiten die restlichen 5 Prozent, welche dann sichtbar sind, weil sie das Verhalten der Menschen ausmachen.
Deshalb beschäftigt sich die junge Frau seit einiger Zeit mit den 95 Prozent. Vor rund fünf Jahren stellte sie fest, dass sie in ihrem angestammten Job nicht mehr am richtigen Ort war und begann, sich für neue Wege zu interessieren, motiviert auch durch ihren Vater. Eher zufällig stiess sie auf ein Buch zur Selbsthypnose, bestellte es, las es in einem Zug durch und wusste darauf, dass es das war, was sie fortan machen wollte. Umgehend meldete sie sich für die Ausbildung an und absolvierte diese erfolgreich.
Mittlerweile betreibt sie ihre eigene Praxis im heimischen Haus in Scuol Sot, durchaus erfolgreich, wie sie anmerkt. So habe sie schon etliche Leute vom Rauchen weggebracht, einer Klientin die Höhenangst genommen und ein Mädchen quasi von Panikattacken geheilt. In über 100 Sitzungen hat sie aber auch noch ganz andere Probleme gelöst. Diese alle aufzuzählen, würde den Rahmen hier sprengen. Dies, indem sie ins Unterbewusste der Menschen vordringe, wie Mauri erklärt. Um sogleich anzufügen, dass dies aber nur funktioniere, wenn ihr Gegenüber dies auch zuliesse. «Ich kann und ich will», lauten denn auch die Schlüsselsätze auf dem Weg zu mentaler oder psychischer Veränderung.
Entspannen mit Selbsthypnose
Mit Rauchen habe ich schon vor Längerem aufgehört, die Höhenangst hält sich in Grenzen respektive steigt einfach mit fortschreitendem Alter leicht an und von Panikattacken bin ich bis jetzt glücklicherweise verschont geblieben. Da ich auch sonst keine grösseren Probleme oder Neurosen habe – finde ich jedenfalls – entscheiden wir uns für eine Selbsthypnose. Diese soll die Entspannung fördern, aber auch die Konzentration. Ehrlich gesagt habe ich auch vor dieser Massnahme etwas Respekt. Noch grösser aber wäre dieser gewesen, wenn es tatsächlich um tiefere Eingriffe ins Seelenleben gegangen wäre. Steigen doch beim Stichwort «Hypnose» Bilder vor meinem inneren Auge auf von wehr- und willenlosen Menschen, welche den Befehlen der Hypnotisierenden vollkommen ausgeliefert sind.
Mutig wie ich bin, fläze ich mich trotzdem auf den bequemen Behandlungsstuhl und harre der Dinge, die da kommen.
Als Erstes gebietet mir Ursina Mauri, ihrem Finger mit den Augen zu folgen und erfüllt damit das Hypnoseklischee gleich zu Beginn. Danach aber ist dann auch gleich wieder Schluss mit Klischees. Mit warmer und bestimmter Stimme leitet sie mich an, die Augen zu schliessen, zu fühlen wie die Lider schwer und schwerer werden, dann das gleiche bei Armen und Beinen. Immer tiefer falle ich in die Entspannung oder eben Hypnose, bis ich tatsächlich von 100 nur noch bis 97 zurückzählen kann und dann etwas abgleite und eintauche in eine Welt der Ruhe. Nichtsdestotrotz höre ich immer noch ihre Stimme, die mich auf dieser Reise begleitet und mich dann auch wieder ans Tageslicht bringt.
Bei der zweiten Session ging es dann darum, einen für mich wichtigen Satz über Fähigkeiten und Ziele aufzuschreiben, fünfmal durchzulesen und dann zu versuchen, von alleine in denselben Zustand wie zuvor zu verfallen. Dies als Vorbereitung für die täglichen Übungen zu Hause, die Hausaufgaben quasi, auf dem Weg zu einem stärkeren Selbst.
Also nichts von völligem Wegdriften und Ausgeliefertsein, sondern der Weg zu einem gleichermassen entspannten und konzentrierten Zustand und dem Ruhen in sich selber. Durchaus empfehlenswert.