Staub und Späne
Die Wiesen sind akkurat gemäht oder sauber abgeweidet und changieren von Gelb zu Ocker. Die Lärchen erstrahlen im klassischen Herbstgelb, während die Tannen ihr Immergrün präsentieren. Von Schnee noch keine Spur, aber es ist ja auch erst Ende Oktober und ich in der Gondel unterwegs nach Motta Naluns. Ziel ist die grosse Baustelle, die hoffentlich bereits nicht mehr so gross ist, sondern schon Gestalt annimmt. Die Gestalt der neuen Bergstation.
Und tatsächlich, als sich die Bahn sachte über den letzten Steilhang bei Motta Sanis-chel schwingt, taucht es auf, das neue Gebäude. Ein eindrücklicher Baukörper, vorwiegend in Plastik verhüllt, mit vorragendem und gut sichtbarem Holzdach. Sieht schon mal gut aus, denkt der geneigte Betrachter.
Auf dem Berg angekommen, steige ich aus der Bahn und treffe Andri Poo, Bergbahndirektor, ausgerüstet mit Baustellenhelm und etwas Baustellenstaub auf der Kleidung.
Schwieriger Beginn
Woher der Staub kommt, wird bald klar, denn wo gehobelt wird, da fallen die Späne und wo geschliffen wird, der Staub. Fast täglich sind es rund 80 Arbeiter und Arbeiterinnen, die für den Fortschritt des Bauprojektes sorgen und dabei eben auch Material abtragen müssen.
Bis zum 7. April habe die Wintersaison gedauert, sagt Andri Poo und bereits am 9. April sei das Abbruchunternehmen aufgefahren und habe damit begonnen, das alte Berggebäude abzureissen. Denn das Baukonzept sah vor, die Grundmauern und die Räumlichkeiten im Untergeschoss, sprich Werkhallen und Serviceräume zu erhalten und auf diesem Rahmen die neue Bergstation aufzubauen. Wobei die Grundfläche jetzt sogar etwas grösser ist, als dies vorher der Fall war. Dies, weil ein seitlicher Absatz beim ehemalig bedienten Restaurant quasi aufgehoben und alles durch einen rechteckigen Grundriss mit 2600 Quadratmeter Grundfläche ersetzt worden ist.
Weil der Abbrecher mit ziemlich schwerem Gerät aufgefahren sei, habe es im Untergeschoss, also in den Werkhallen, ausgesehen wie im Wald, meint Poo scherzhaft. Um die nötige Traglast zu erreichen, habe man die oben liegende Betondecke eben mit Stämmen gestützt.
Ob der Bergbahndirektor die zulässige Traglast selbst berechnet hat oder nicht, will er nicht angeben, sicher aber ist, gekonnt hätte er es auf jeden Fall. Denn in seinem Leben vor der Bergbahn hat er als Bauingenieur geamtet und gerechnet. Alles in allem sei dies sicher ein Vorteil für das ganze Bauvorhaben gewesen, ist Poo überzeugt. Auch wenn sich ein Abgänger eines Wirtschaftsstudiums in Anbetracht einer gewissen Unkenntnis der Materie sicherlich weniger Sorgen gemacht hätte.
Viel Luft für Lüftung
Alles in allem seien aber seine Sorgen tatsächlich nicht so gross gewesen und die schlaflosen Nächte an einer Schreinershand abzählbar. Eigentlich schlafe er sowieso immer gut, ergänzt Poo. Wobei, ganz zu Beginn war das etwas anders und schuld daran der nasse Frühling. Deshalb waren die Zufahrten von Ftan auf die Motta so feucht und rutschig, dass sie die Strasse jeden Abend wieder herrichten mussten und die Lastwagen mit Schneeketten unterwegs waren. Zur Verstärkung der Strasse seien dann auch noch Holzkisten eingebaut worden. Wäre da ein Lastwagen gekippt, hätten sie für längere Zeit nichts mehr tun dürfen, ist Poo überzeugt, und der Bau wäre nie im Leben termingerecht fertig geworden.
Jetzt aber, Stand Oktober, sieht alles noch sehr gut aus. Im grossen neuen, lichtdurchfluteten Speisesaal des Selbstbedienungsrestaurants hängen bereits die Lampen und die Küchenbauer kriechen in die Geräte, um zu schweissen und sie am Strom anzuschliessen. Etwas weiter vorne sind die Fensterbauer daran, die grossen Flächen zu verglasen und auf der kleinen Tribüne, die später den Gruppen vorenthalten sein wird, geben die Bauleute den Wänden den letzten Schliff.
Eigentlich habe die Koordination unter den verschiedenen Handwerkern sehr gut funktioniert, sagt der Direktor, abgesehen vielleicht von ein, zwei kleineren Vorfällen, die man besser hätte planen können. Damit der Arbeitsfortschritt auch klar sichtbar wird, existiert zwar nicht gerade Schichtbetrieb, jedoch fahren die Bergbahnen von 6.45 bis 22.00 Uhr, lassen also viel Raum für lange Arbeitstage.
Hohe Arbeitsmoral
Sieht es im Innern noch eher roh aus, ist die Fassade des Berghauses fertig und mit zahllosen kleinen, rechteckigen Schindeln verkleidet, welche die schiere Grösse der Fläche optisch reduzieren.
Andri Poo führt dann ins Untergeschoss der Anlage, wo er auf die Lüftungsrohre hinweist. Ein Drittel des ganzen Bauvolumens sei nur mit solchen gefüllt, erklärt er, mit leichtem Bedauern in der Stimme. Dies einfach deshalb, weil dies so vorgeschrieben sei. Und ein Drittel benötigen sie, obwohl sie volumenmässig bei der Lüftung durchaus ans Limit gegangen seien.
Apropos Vorschriften, wie sieht das denn nun bei den Toiletten aus oder wie präsentieren sich später die Schildchen, welche auf die jeweiligen Eingänge hinweisen? Da hätten sie eine sehr pragmatische Lösung gefunden, sagt Andri Poo stolz. Es gäbe Pissoirs und ansonsten einfach dieselben Toiletten für alle, jeweils einzeln abschliessbar.
Ein kurzes Gespräch mit dem Handwerker da und eines mit dem Elektriker dort, präsentiert Poo zum Schluss quasi noch das Herzstück der Baustelle: die provisorische Küche und Betriebskantine. Eingerichtet in den ehemaligen Garderobenräumen der Bergbahnarbeiter und in der Werkhalle, sind grad zwei Köche zugange, welche das Abendessen vorbereiten. Denn eben, weil die Arbeitszeiten relativ langgestreckt sind, gibt es auch welche, die ein Abendessen brauchen. Sie hätten lange hin und her überlegt, wie und wo sie die Verpflegung der Bauarbeiter einrichten sollten, erklärt Poo, bis sie auf diese Lösung gekommen seien.
Und nicht zuletzt, weil die Verpflegung so gut klappt, bleibt die Arbeitsmoral hoch und die Terminerreichung äusserst realistisch. Öffnen wolle man am 14. Dezember und die Einweihung findet am 21. Dezember statt.
Und bis dahin ist nicht nur das Gebäude fertig, sondern sind die Wiesen weiss und die Bäume ebenfalls.