In puncto Nervenkitzel ist das unterste Stück des Weges in der Uina-Schlucht «eher so geht so». Gut, die Wenigsten suchen in dieser Phase noch den Nervenkitzel, weil sie dann schon eine lange Wanderung hinter sich haben. Wenn sie etwas suchen, dann eher ein kühles Getränk und etwas zu essen.
Nervenkitzel ...
Doch wer will, kommt auch in puncto Nervenkitzel in der Uina-Schlucht auf seine Kosten. Dazu allerdings sollte man dann von unten, sprich von Sur En herkommend beginnen. Nach rund einer halben Stunde Fussmarsch weist ein Schild mit der etwas verfänglichen Aufschrift «Senda culturala» nach links, und der Nervenkitzel kann beginnen. Dass dies kein leeres Versprechen ist, dafür stehen Mario Riatsch und Antonin Hugentobler, ihres Zeichens verantwortlich für die Anlage des Weges und so was wie die Masters of Nervenkitzel. Antonin Hugentobler hat den Weg gemeinsam mit seinem Forstteam erst letztes Jahr wieder modernisiert und erneuert.
… oder doch eher Geschichte?
Gut möglich aber, dass gar nicht alle Leute auf Nervenkitzel aus sind, oder jedenfalls nicht immer. Jene wollen vielleicht lieber Geschichte erfahren, sprich erwandern, sich etwas entspannen, sich dabei aber trotzdem mit allen Mineralwässern auseinandersetzen, die es in und um Scuol so gibt. Ihnen winken verschiedene Möglichkeiten, beginnen aber können sie immer in Scuol, entweder am Bahnhof oder dann an der PostAuto-Haltestelle vor der Gäste-Information, also beim Coop. Für diese Wege zeichnet die lokale Tourismusorganisation TESSVM (Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val Müstair AG) verantwortlich.
Der Nervenkitzel beim Senda culturala ist gratis und inklusive. Zur eigenen Sicherheit muss aber unbedingt ein Sitzgurt mit Klettersteig- oder Seilpark-Equipment inklusive Helm getragen werden. Seilpark-Equipment heisst, zwei Schlingen mit integrierter Bremse und je einen Karabinerhaken zum Einhängen. Diese gibt’s bei den lokalen Bergsportgeschäften zu mieten.
Der Beginn ist noch wenig nervenaufreibend, ein schmaler Pfad führt entlang der Flanke immer weiter nach oben, vorbei an einem lieblich wirkenden, weil mit einer frischen, grünen Grasschicht überzogenen Waldstück. Und Kultur und Geschichte kommen auch hier nicht zu kurz, denn schon auf der Einstiegstafel wird erklärt, dass der Senda culturala zu Beginn auf der alten Uina-Talstrasse verläuft. Doch schon mehr Nervenkitzel als auf der neuen.
Die mit dem Wasser entschliessen sich derweil vielleicht für die Tour «curas da baiver» und beginnen bei der Gäste-Information – ohne Sitzgurt, dafür mit einer Flasche oder einem Becher ausgerüstet, um das Wasser der Quellen auch degustieren zu können. Statt aufwärts geht’s erst abwärts, runter zum Inn, wo am Anfang des alten Kurwegs nach Nairs bereits die erste Infotafel zu den Quellen Chalzina und Tulai zu sehen ist. Entlang dieses Kurwegs standen früher allenthalben Latrinen für die Kurgäste. Denn das Mineralwasser wirkt auch abführend, zudem waren die Häuschen der Auslöser für den «Latrinenkrieg».
Steiler Weg, wenig Probleme
Im Wald der Uina-Schlucht wird der Weg steiler und schmaler gleichzeitig, und schon taucht am Felsen zur Linken das erste Drahtseil auf. Zwar ist der Abhang darunter noch nicht sehr besorgniserregend oder gar übertrieben verdauungsfördernd, trotzdem hängen die Besucher ihre Schlingen respektive die Karabiner am Seil ein. Auch etwas zu Übungszwecken. Tatsächlich verläuft die erste Passage ohne Probleme.
Grosse Probleme bietet auch der Mineralwasserweg nicht. Problemen sieht sich höchstens der Trinkhalle Büvetta Tarasp gegenüber, solche geologischer Art nämlich. Der ganze Hang oberhalb dieses Juwels aus der Blütezeit des Bädertourismus ist in Bewegung und bedroht akut die Trinkhalle. Doch der Verein Pro Büvetta Tarasp setzt sich für die Rettung der Trinkhalle ein und ist guten Mutes, dass dies auch gelingt.
Apropos Rettung: Beim Blick auf die Seilbrücke der Senda culturala denkt man durchaus mal kurz an Rettung, hängt dann aber trotzdem die Haken an die beiden Drahtseile ein und macht sich auf den Weg. Die Trittfläche besteht aus kleinen Elementen, die wie Eisenleitern aussehen. Je mehr man sich aber der Mitte der Brücke nähert, desto mehr empfiehlt es sich, den Blick weniger auf die Leiter als vielmehr auf die gegenüberliegende Felswand zu richten. Denn der Blick fällt quasi durch die Stäbe der Leitern und kommt dann auf dem Boden der Schlucht auf, rund 40 Meter weiter unten. Also weiterhin vorsichtig einen Fuss vor den anderen setzen und hoffen, dass der Kollege oder die Kollegin hinter einem wartet, bis man die Schlucht überquert hat oder dann zumindest nicht mit Schaukeln beginnt, kaum dass man auf der Brücke steht. Als Belohnung nach dem Überqueren der Brücke winkt eine kurze Rast auf dem Bänkchen mit der wohl spektakulärsten Aussicht: Einerseits gerade rüber an den terrassierten Hang mit dem pittoresken Dorf Sent oder dann gerade runter auf die eher langweilige Strasse durchs Uina-Tal.
Aussichten und Einsichten
Ebenfalls spektakuläre Aussichten boten die Zimmer der Hotelpaläste in Vulpera, der nächsten Etappe auf dem Mineralwasserweg. Alleine, der Schweizerhof ist geschlossen und das Waldhaus schon länger abgebrannt. Von den einst grossen Zeiten zeugt nur noch der Kurpark des Hotels Waldhaus.
Sicher auch grosse Zeiten und vor allem viele, weil schon lange im Wald, hat die Föhre erlebt, die nun aber quer am Boden liegt. Umgestürzt durch die Schneelast im Winter, und weil der Boden zu wenig Halt für die Wurzeln geboten hat. Tatsächlich scheint die eindrückliche Föhre auf Steinen gewachsen zu sein. Für Zerstreuung von diesem doch eher traurigen Anblick sorgen die Tafeln, welche die Geschichte vom Alesch aus dem Val d’Uina erzählen. Auf Wunsch des Vaters wäre dieser fast Pfarrer geworden, schliesslich hat er nur zwei Monate gebraucht, um das «Vaterunser» auswendig zu lernen. Es reichte dann aber doch nicht ganz. Dafür reicht es auf dem Weg nochmals zu einer Hängebrücke, die im Gegensatz zur ersten aber weniger hoch und lang und also auch weinger furchteinflössend ist. Der Rest ist dann Auslaufen, bis wieder hin zum lieblichen Stück Wald und dem Wegstück der alten Uina-Strasse, die dann wieder auf die neue führt.
Der Mineralwasserweg hingegen führt von Vulpera nach Scuol Sot, also in den alten Dorfteil, wo es an zwei Brunnen noch Mineralwasser zu trinken gibt, schliesslich ist man in diesem Moment bereits etwa zwei Stunden unterwegs. Zwei ist diesbezüglich ein gutes Stichwort, denn es gibt nicht nur einen Mineralwasserweg, sondern noch zwei weitere, also deren drei. Vielleicht mit weniger Nervenkitzel, dafür mit umso mehr Wissen zur vergangenen und aktuellen Kur- und Bäderthematik.
Zu den Mineralwasserwegen geht es unter: engadin.com/mineralwasserwege