«Eine Reise im Internet zu buchen, ist wie ein Kleid von der Stange zu kaufen», sagt der Inhaber des Reisebüros ETO Travel in Müstair. Dagegen sei nichts einzuwenden, wenn man denn keine individuellen Wünsche habe und keinen Anspruch darauf, dass alles so ist, wie man es sich vorstellt. «Wir haben nur geprüfte Angebote und Hotels im Programm, und wo nötig, arbeiten wir vor Ort mit lokalen Agenturen zusammen», versichert er.
Predrag Küng wurde 1962 als Predrag Bjelić in Zenica in der Nähe von Sarajewo im heutigen Bosnien Herzegowina geboren. «Ich hatte eine glückliche Kindheit, es ging uns gut, und ich liebte meine Heimat.» Wenn Predrag von dieser Zeit berichtet, ist das Bedauern über die späteren Ereignisse in seinem Land spürbar.
Eigentlich sollte er Arzt werden, wünschten seine Eltern. Die Voraussetzung dafür war die Ausbildung zum Krankenpfleger, die er erfolgreich abschloss. Aber er war sich über die Berufswahl «Arzt» alles andere als sicher. Er spürte, dass dies nicht sein Traumberuf war, trotzdem meldete er sich zum Studium an. Doch vorher wollte er etwas von der Welt sehen. Reisen, Fremdes erkunden, das war sein grosses Steckenpferd. Musik und Bücher beflügelten seine Fantasien vom Fremdartigen, Predrag sammelte Schallplatten wie andere Briefmarken, er besass eine ansehnliche Sammlung davon. Dass diese später einmal seinen Eltern helfen würde, aus dem Kriegsgebiet zu fliehen, ahnte er damals noch nicht.
Predrag ging also auf Reisen, besuchte dabei Bekannte aus seiner Heimat, die in der Schweiz lebten, und es gefiel ihm. Sie überredeten ihn, sich beim Schweizerischen Roten Kreuz für eine Stelle als Krankenpfleger anzumelden. Zurück in Sarajewo bereitete er sich auf sein Studium vor und vergass die Anmeldung, bis ein Schreiben vom SRK kam, er sei angestellt, wenn er denn vorher noch einen Deutschkurs absolviere. In Windeseile lernte er Deutsch, packte seine Koffer und verliess das Elternhaus. Die Eltern waren bestürzt, redeten nicht mehr mit ihm. Im Sommer 1989 kam er in der Schweiz an, der Kontakt zu seiner Familie lief nur noch spärlich über seine Schwester und seinen Bruder.
Der Krieg und seine Folgen
1991 brach in der Heimat von Predrag der Krieg aus. Niemand, Predrag nicht, seine Familie nicht, und auch im weiteren Umfeld nicht, hätte geglaubt, dass das Unvorstellbare geschehen würde. Sicher, es gab politische Unruhen, der Rechtsrutsch war sichtbar, trotzdem war die Bevölkerung überzeugt, dass sich die Situation wieder beruhigen und nicht das ganze Land zerstört würde. Die Menschen lebten ihren Alltag, bis von heute auf morgen nichts mehr so war, wie es sein sollte. «Es war eine rein politisch motivierte Auseinandersetzung, die keine religiösen Hintergründe hatte», berichtet Predrag, «und meine Familie und viele Tausende verloren ihr ganzes Hab und Gut. Man nahm ihnen alles weg.» Und Predrag begann, seine Heimat zu verabscheuen. Er holte seine Eltern in die Schweiz. Mit zwei Koffern kamen sie am Flughafen in Zürich an. Der Verkauf der Schallplatten-Sammlung ermöglichte die Reise in die Schweiz. Sein Vater sagte zu ihm: «Sohn, du hast dich damals richtig entschieden. Du hast alles richtig gemacht!»
Ausbildung und Integration in der Schweiz
«In der Schweiz fühlte ich mich von Anfang an wohl», sagt Predrag. Er arbeitete zuerst als Pfleger in einem Pflegeheim in Zürich, wechselte dann ins Triemli Spital, wo er sich hinaufarbeitete und im administrativen Bereich tätig war. Also besuchte er die Abendschule und schloss mit dem kaufmännischen Fähigkeitsausweis ab. 1996 heiratete er Sandra Küng, eine gebürtige Schweizerin. Auf dem Standesamt fragte man das Paar, welchen Familiennamen sie wählen wollten. Für Predrag war klar, dass er Küng heissen wolle, den Krieg hatte er seinem Land noch nicht verziehen.
Sie beschlossen, zur Aufarbeitung der Kriegsgeschehnisse eine Reise nach Bosnien zu unternehmen, und Predrag entdeckte sein Land neu. Die Landschaft, die Freundlichkeit der Menschen und deren Gastfreundschaft liessen ihn Frieden schliessen. Mehr noch, er wollte dem Land etwas Gutes tun und begann, Reisen in seine Heimat zu organisieren. Bald schon folgten andere Reiseziele und so wurde Predrag….
… vom Krankenpfleger zum Reisefachmann
Heute führt Predrag Küng zusammen mit seiner Frau das Reisebüro. 2018 haben sie ihren Wohnsitz nach Müstair verlegt. Zehn Jahre lang hatten sie das Val Müstair als Feriengäste besucht. «Wir waren so angetan von der Natur, der Ruhe und den Jauers, dass wir hier leben wollten. «Die Reiseagentur und mein Übersetzungsbüro können wir auch hier betreiben», sagt Sandra, «und unsere Hündin Crissy hat viel mehr Freiheiten.» Das Reisebüro hat die Corona-Flaute überstanden und Predrag trägt sich bereits mit Expansionsgedanken: «Es sollen nicht nur Leute von hier weg in die Ferien reisen, sondern auch von anderswo hierher in die Ferien kommen, das ist mein Ziel.»