Lia Naira bedeutet schwarzer Bund und war ein Oppositionsbündnis gegen den geplanten Bau der Kraftwerke am Inn und des sogenannten Spöl-Vertrags (siehe Kasten). Allerdings stammt der Name nicht von den Mitgliedern dieser Gruppe, sondern von den Gegnern, sagt die Legende. An einer von Kraftwerksgegnern organisierten Veranstaltung im Gemeindesaal von Scuol im Januar 1957 seien die Veranstalter spottweise als Lia Naira bezeichnet worden, weil sie ihre Sitzungen immer nachts abzuhalten pflegten. Tagsüber hätten sie eben arbeiten müssen, konterten sie darauf süffisant. Das schreibt David Truttmann in seiner Lizenziatsarbeit. Der Autor hat sich intensiv mit der Lia Naira befasst.
An der Sitzung vom 24. Februar 1957 nahm die Lia Naira ihren Namen an. David Truttmann rechnet dem Widerstandsbund 21 Personen zu, darunter durchaus lokale Prominenz und die Intelligenzia. So zählte auch der Lehrer und Schriftsteller Jon Semadeni dazu. Ebenfalls aktiv im Widerstand gegen die Kraftwerke waren Leta Gaudenz und Jacques Guidon.
Die zentralen Argumentationsstränge der Lia Naira lauteten: Für den Naturschutz, für das Schweizervolk, für das Unterengadin und für uns alle gemeinsam, wie David Truttmann herausgeschält hat. Sie wollten den Nationalpark erhalten, warnten davor, dass der Inn austrockne und somit das Tal verarme. Auch die Angst um die rätoromanische Sprache ging wieder um, wie bereits 1940 als die ersten Kraftwerksprojekte im Unterengadin auftauchten.
Frauen-Demo in Zürich
Die Frauen begegneten den Kraftwerken mit Gesang und einer Demonstration in Zürich. So reisten 50 Engadinerinnen in die Limmatstadt und sangen bei der Ankunft in der Bahnhofshalle als erstes «Chara lingua da la mamma», weiss Leta Gaudenz noch. Dann starteten sie ihren Umzug, der durch die Bahnhofstrasse bis zum Bellevue und dem Limmatquai entlang wieder zurück zum Bahnhof führte. Auf den Plätzen hielten sie an und sangen. «Die meisten Leute hätten sich gefreut, sagt Gaudenz, auch weil die Frauen alle in der Engadinertracht einherschritten. Es habe aber auch solche gegeben, die sie beschimpft hätten. Auch die Frauen standen so für Tradition und ihre Sprache ein. Dazu zogen sie gar bis nach Bern, wo sie nach einem kurzen Umzug in die ehrwürdigen Hallen des Bundeshauses traten und dem Bundesrat eine Protestnote übergaben. Genützt hat es allerdings nicht viel, am 7. Dezember 1958 sprach sich eine deutliche Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung für die Annahme des Spölvertrages aus. Darauf zog die Lia Naira auch ihre Nationalparkinitiative zurück.
Lohnendes Engagement
Trotzdem habe sich ihr Engagement gelohnt, resümmiert Leta Gaudenz. «Die meisten Seitenbäche des Inns fliessen noch unberührt, das Flussbett präsentiert sich grosszügig und der Fluss lebhaft», stellt sie fest. Und die frühen Schutzbemühungen werden heute von anderen Organisationen weitergeführt, wodurch schon einige Renaturierungsprojekte umgesetzt werden konnten.
Film zum Dreiländerfluss Inn „INNBewegung“ mit anschliesendem Austausch mit dem Filmemacher, WWF Österreich, WWF Schweiz und der Stiftung Pro Terra Engiadina.
Der 45-minütige Zusammenschnitt der Filmserie „INNBewegung“ zeigt den Inn, seine Anwohner und Nutzer in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Die Serie entstand im Rahmen des EU-Interreg Projektes INNsieme, das sich für einen grenzüberschreitenden Artenschutz am Inn einsetzt und von der Stiftung Pro Terra Engiadina und dem WWF Schweiz unterstützt wird. Im Anschluss an die Filmvorführung stehen der Filmemacher Harry Putz und das Projektteam INNsieme bei einem schweizer-österreichischen Apero für einen Austausch zur Verfügung.
Datum und Ort: Dienstag, 14. September 2021, 20.00 Uhr, Auditorium des Schweizerischen Nationalparks, Zernez
Bitte melden Sie sich für den Anlass bis zum 10. September 2021 via info@innsieme.org an. Der Eintritt ist frei.