So dezent leuchtet Ardez nach der Umsetzung des Plan Lumière.
So dezent leuchtet Ardez nach der Umsetzung des Plan Lumière. © Reto Marty

Richtig beleuchtet

Jürg Wirth Wohl ist Lichtverschmutzung in der Region noch kein grosses Thema, trotzdem lohnt es sich, die Beleuchtungen genau anzuschauen und je nachdem anzupassen. Die Gemeinde Scuol macht dies mit dem Plan Lumière.

Zieht man vom Unterland hierher oder verbringt die Ferien in der Gegend, fällt es sofort auf: Die Nächte sind noch dunkel, dafür der Sternenhimmel umso funkelnder. Lichtverschmutzung ist ein Fremdwort und die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Gegend gehören ganz sicher nicht zu den 99 Prozent von Europäern, die nachts keine Sterne mehr am Himmel sehen. Dies ist keine subjektive Schönfärberei respektive Verdunkelung, sondern lässt sich auf der Lichtverschmutzungskarte glasklar ablesen. Erstrahlen dort Städte wie Zürich, Mailand oder Rom in hellstem Purpur, breitet sich über dem Engadin eine dunkelblaue Wolke aus. Heisst, die Lichtverschmutzung respektive Beleuchtung ist hier marginal im Gegensatz zu derjenigen in den Metropolen.

So hat Ardez vor dem Plan Lumière geleuchtet.
So hat Ardez vor dem Plan Lumière geleuchtet. © Reto Marty

Zu viel Licht beeinträchtigt

Gleichwohl findet Reto Marty, dass der stetig zunehmenden Helligkeit in den Dörfern entgegengewirkt werden sollte, denn das viele Licht beeinträchtigt nicht nur die Natur, sondern stört auch die Menschen in den Häusern. Marty engagiert sich gegen zu viel oder falsch eingesetzte Lichtquellen – von Berufs wegen. Denn der gelernte Elektrozeichner ist spezialisiert auf Lichtplanung und -design. Dazu hat er nach seinem Architekturstudium ein Nachdiplom in Lichtplanung angehängt und betreibt seit 2005 sein eigenes Büro in Zürich. Unlängst hat er in Scuol eine Zweigstelle eröffnet, weil er mit seiner Frau Inga dort im Frühling die Zelte aufgeschlagen hat. 

Tatsächlich spürt man bei ihm die Begeisterung für Licht vom ersten Satz an. Alsbald beginnt er über Licht und Dunkelheit zu referieren, über die Wirkung, welches gut eingesetztes Licht erzielen kann oder sinniert darüber, dass Licht an sich schwierig zu beschreiben und nicht als greifbarer Gegenstand erhältlich ist.

Anhand von Vorher-Nachher-Bildern lässt sich dann aber die Wirkung einer effektiven Lichtgestaltung und Beleuchtung bestens ablesen. Dies ist nun für Ardez der Fall oder auch für einige Bauwerke in Scuol. Denn Marty obliegt mit seinem Büro die Aufgabe für die Gemeinde Scuol, den Plan Lumière auszuarbeiten und umzusetzen. Mit diesem Vorschlag meldete er sich vor einiger Zeit bei der Verwaltung, worauf diese unter drei Büros das seinige auserkor, eben diesen Plan zu erstellen. 

Zu viel Licht am falschen Ort

Dazu beschäftigte er sich erst mit der Ausgangslage und stellte fest, dass viele Leuchten in der Gemeinde veraltet und ineffizient sind, heutigen Anforderungen nicht mehr genügen, oder dass die Beleuchtung auch nachts mit voller Leistung leuchtet, unabhängig davon, ob das jemand braucht oder nicht. Vor allem aber fiel ihm auch auf, dass charakteristische Bauwerke unschön ins Licht gerückt waren und dass es durchaus Orte gibt, bei denen Lichtverschmutzung ausgemacht werden kann oder einfach zu viel vom Licht an der falschen Stelle. Zum Beispiel eine Strassenlampe an einem Engadinerhaus, welche vor allem die Hausmauer erhellt – und nicht die Strasse.

Die Erkenntnisse aus der Ausgangslage und die darauffolgende Analyse hat das Team von «nachtaktiv», so heisst das Büro von Reto Marty, dann in ein Konzept und ein Handbuch gegossen. Dabei setzt das Konzept die Ziele und beschreibt die Idee der Beleuchtung, während das Handbuch die technischen und gestalterischen Angaben der Beleuchtung definiert. Schliesslich will die Philosophie des Lichtkonzepts nichts weniger, als «mit einem dezenten Licht und einem dynamischen Verlauf in der Nacht ein angemessenes, nächtliches Erscheinungsbild der Gemeinde Scuol erreichen». 

Die Kirche Scuol war in nicht eben angenehmes Licht getaucht.
Die Kirche Scuol war in nicht eben angenehmes Licht getaucht. © Reto Marty

Licht gezielt eingesetzt

Weniger soll hier mehr sein. Weniger Licht also, dafür gezielt eingesetzt und intelligent gesteuert. Selbstverständlich ist dabei das Lichterlöschen kein Thema, schliesslich soll die neue Beleuchtung für Sicherheit und Orientierung sorgen. Zu helle Lampen, so erklärt Marty, würden diesbezüglich aber nichts bringen. Im Gegenteil: Zu helle Lampen blenden die Menschen, worauf diese das Umfeld nicht mehr wahrnehmen können. Grundsätzlich will «nachtaktiv» deshalb das Licht gezielt einsetzen, dynamisch steuern, auch hinterfragen, ob es diese und jene Lichtquelle überhaupt braucht und dies alles im Einklang mit der Natur umsetzen. Denn dass Licht einen Einfluss auf diese hat, ist unbestritten. Licht kann Insekten anlocken, Zugvögel bei der Orientierung stören, genauso auch den Schlaf-Wach-Rhythmus von Menschen durcheinanderwerfen oder eben den Himmel so erhellen, dass die Sterne daneben quasi verblassen.

Dank der neuen Leuchten und der Projektionsmasken erstrahlt die Kirche in neuem Licht.
Dank der neuen Leuchten und der Projektionsmasken erstrahlt die Kirche in neuem Licht. © Reto Marty

Anschauung in Ardez und Scuol

Wie sich die Resultate aus all diesen Überlegungen, Theorien und Philosophien präsentieren, lässt sich mittlerweile an einigen Gebäuden in Scuol und an der ganzen Ortsbeleuchtung in Ardez beobachten. In Scuol beispielsweise erstrahlt die reformierte Kirche oder auch das Talmuseum in neuem Licht. Ein dezentes und warmes Licht erleuchtet nun das Gotteshaus, nachdem dieses zuvor grünlich erschien. Dass praktisch keine Lichtstreuung entsteht, liegt an der Technik. Tatsächlich kommen dabei Masken zum Einsatz, auf welchen die Konturen der Kirche ausgelasert sind. Gleiches auch beim Museum, welches ebenfalls in einem warmen Licht erscheint. Neben einer würdigen Erscheinung der Gebäude wird die räumliche Wahrnehmung nun auch in den Nachtstunden wieder greifbar.

In Ardez kommt die Strassenbeleuchtung nun einheitlich daher, überflüssige Lichtquellen wurden eliminiert oder so gesteuert, dass sie nur noch dann leuchten, wenn auch tatsächlich Leute unterwegs sind, heisst zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens strahlen die Lampen nur mit einer reduzierten Intensität. Dafür erhellen die Lampen nun tatsächlich die Strassen und Plätze und nicht mehr die Fassaden und die Wohnstuben – jedenfalls fast überall. Und auch den Himmel erhellen sie nicht mehr, sodass Bewohner und Gäste sich weiterhin am Sternenmeer erfreuen können.

Auch das Museum in Scuol ist nun ins beste Licht gerückt.
Auch das Museum in Scuol ist nun ins beste Licht gerückt. © Reto Marty

Das könnte Sie auch interessieren