Zum ersten Mal in Kontakt mit dem Tourismus kam Vreni Conradin bereits im zarten Alter von sieben Jahren. Umso erstaunlicher mutet es heute an, dass sie der Erstkontakt nicht für immer abgeschreckt hat. Denn Vreni arbeitete nicht etwa im heimischen Betrieb mit oder wenigstens in ihrem Dorf, sondern sie wurde im Sommer jeweils «verschickt», wie sie das nennt. Vreni Conradin wuchs in Vals auf, gemeinsam mit sieben Geschwistern. Die Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft, und der Vater arbeitete noch als Maurer. Weil das Geld trotzdem eher knapp war, «sömmerten» die Eltern quasi ihre Kinder. «Dabei waren wir längst nicht die Einzigen im Dorf, die das taten», erinnert sich Vreni. Die Kinder hatten damals vier Monate Sommerferien und Pro Juventute ein Programm, in dem sie Kinder aus den Bergen ins Unterland vermittelte. Vreni kam nach Knuttwil in ein Gasthaus, wo sie den fünf- und den sechsjährigen Knaben hüten musste. Sie half auch im Betrieb, und nachmittags musste sie jeweils auf der Strasse stehen und Kundschaft auf den Betrieb holen.
Allerdings grenzt es an ein Wunder, dass Vreni Conradin überhaupt bis dahin kam, denn im Alter von anderthalb Jahren zog sie sich Verbrennung dritten Grades zu, als sie in den heissen Waschzuber fiel. Erst behandelte die Hebamme die Wunden mit Öl und Mehl, bis nach einer Woche endlich der Doktor kam und Vreni sofort ins Spital Ilanz brachte. Dort fiel sie ins Koma und war anschliessend sieben Monate nicht bei Bewusstsein.
In der «Verschickung»
Die nächste Station ihrer «Verschickung» war Wolfwil. Dazu steckte man sie in Ilanz in den Zug, behängt mit einem Kartonschild mit ihrer Destination – «Olten». Dort holte sie eine ältere Frau am Bahnhof ab, deren Mann kurz zuvor gestorben war. Entsprechend traurig war die Frau und bedrückt die Stimmung und Vrenis Heimweh gross.
Mit Freuden aber erinnert sie sich an die drei Jahre auf einem Bauernhof in Niederhelfenschwil. «Da passte ich auch auf die Kinder auf, durfte aber auch kochen und auf dem Feld helfen.» Noch heute habe sie mit den Leuten Kontakt.
Nach dem Ende ihrer Schulzeit absolvierte sie eine Lehre als Betriebsassistentin bei der Post und wurde wieder quasi verschickt, unter anderem auch nach Scuol, wo sie allerdings nie im Leben bleiben wollte.
Allein, die Liebe lotste sie dann doch ins Unterengadin, denn 1977 lernte sie dort ihren späteren Mann kennen. Weil sie danach aber vier Jahre in Flims arbeitete, führten die beiden eine Fernbeziehung. Anschliessend zog sie nach Sent, 1982 heirateten sie, übernahmen das Hotel Rezia in Sent. Dort blieben sie bis 1994, dann verkauften sie das Rezia und wollten einen kleineren Betrieb übernehmen, was allerdings nicht klappte. Schlussendlich führten sie dann von 1998 bis 2000 die Villa Silvana in Vulpera. «Unglücklich» hätten sie dort gearbeitet, sagt Vreni nur zu dieser Zeit, weshalb sie dann im Jahr 2000 beim Verkehrsverein anheuerte. Noch unglücklicher war das Jahr 2004, da starb ihr Mann und sie blieb mit den drei Kindern alleine zurück.
Doch Vreni ist keine, die sich ob all den Schicksalsschlägen entmutigen liesse, vielleicht auch wegen ihrer «Schule fürs Leben», wie sie die Arbeitseinsätze als Kind nannte. Und auch die Arbeit in der Gäste-Information brachte und bedeutet ihr viel. «Ich mag den Kontakt mit Leuten und habe mittlerweile auch eine grosse Stammkundschaft», freut sie sich. Auch den Kontakt mit den Mitarbeitenden und den Vorgesetzten – und davon gab es eine ganze Menge – hat sie immer sehr geschätzt.
Draussen unterwegs
Sie liebt es, den Gästen die Vorzüge der Region näherzubringen, ihnen auch Geheimtipps zu verraten und viele gute Ratschläge zu geben. Allerdings kämen nicht mehr so viele Leute an die Gäste-Info, weil heute viel über den Computer laufe und kaum mehr Broschüren verschickt würden, beobachtet sie. Bis Ende Mai arbeitet sie nun noch dort, nach ihrer Pensionierung wird sie ab und an Ferienvertretungen übernehmen und viel in der Natur anzutreffen sein. Das ist kein Klischeespruch einer Bald-Pensionärin, um sich selber Mut zu machen, sondern Realität. Denn schon heute ist Vreni Conradin oft und gerne draussen. Als Pensionärin hat sie dann noch mehr Zeit, um ihre Wildkräuterwanderungen abzuhalten, worauf sie sich sehr freut. Und fast noch mehr freut sie sich auf ein anderes Engagement: «Ich will im Herbst die Prüfung zur Pilzkontrolleurin absolvieren und natürlich bestehen», sagt sie, weshalb sie bereits heute am Lernen sei. Selbstverständlich nimmt sie sich auch noch für die Enkel Zeit, auch wenn diese jetzt schon grösser sind und nicht mehr derart intensive Betreuung brauchen. Und im Kontakt mit dem Tourismus bleibt sie sowieso.