Bisher kamen die VR-Präsidenten der TESSVM aus Samnaun. Wie kommt es, dass dieses Mal eine Frau aus dem Val Müstair gewählt wurde?
Es bestand bisher ein ungeschriebenes Gesetz, wonach eine Person aus Samnaun das Präsidium übernimmt. In dieser neuen Situation, in der vier langjährige Verwaltungsräte zurücktraten, war nicht die Frage, ob Frau oder Mann, sondern ob eine Kontinuität überwiegen sollte. Der neue Verwaltungsrat hat sich nach reiflicher Überlegung bei der Wahl für das Präsidium für meine Person entschieden. Für das Val Müstair ist es eine Ehre und ich bin glücklich, das Vertrauen der anderen Partner erhalten zu haben.
Es ist eine verantwortungsvolle Position, immerhin umfasst die TESSVM eine der grössten Feriendestinationen in der Schweiz und das Val Müstair ist nur ein kleiner Teil davon. Wie werden Sie damit umgehen?
Selbstverständlich habe ich auch Respekt vor der Herausforderung. Die touristische Ausrichtung der einzelnen Subregionen ist sehr verschieden, die Herkunft aus der fast kleinsten Talschaft darf kein Hindernis sein. Persönlich liegt mir die ganze Region am Herzen und als Präsidentin des Wirtschaftsforums möchte ich den Puls der Leistungsträger noch mehr fühlen können. Das Amt des Vize-Präsidenten ist mit Martin Valsecchi aus Samnaun besetzt worden, was eine harmonische Ausgewogenheit garantiert.
Die Feriendestination ist schweizweit Vorreiterin im Bereich des nachhaltigen Tourismus, eine Verpflichtung sozusagen. Welche Erwartungen sind damit verbunden?
Die Nachhaltigkeit besteht aus drei Dimensionen: Ökonomie, Gesellschaft/Soziales sowie Ökologie. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass unsere Destination sich in einem schwierigen Umfeld weiterentwickeln kann. Der Fachkräftemangel betrifft auch die Grenzregionen, das Gästeverhalten hat sich stark verändert, und der Druck seitens der Leistungsträger wird grösser. Die überarbeitete Strategie der TESSVM, die aktuell in der Vernehmlassung ist, soll mithelfen, diese Herausforderungen zu meistern. Meine damalige Ausbildung als Touristikfach-Kauffrau sowie die langjährige Tätigkeit auf internationalen Märkten hat mich als Person mit direktem Kundenkontakt sehr geprägt. Als mein Ehemann und ich vor über 12 Jahren unseren «Agriturismo» aufbauten, habe ich gelernt, was es heisst, einen kleinen Betrieb mit Weinbau sowie Bio-Fruchtanbau von null aufzubauen. Ich bin in unserem Betrieb für den Verkauf, das Marketing sowie an freien Tagen für die Gäste zuständig. In einem Betrieb liegen die operative sowie die strategische Ausrichtung manchmal eng beieinander, bei einer Destination muss das klar unterschieden werden. Die Destination muss global denken und lokal handeln können, was wir mit dem Erreichen der TourCert-Zertifizierung gut umgesetzt haben. Wir sind stolz darauf, dies als eine der ersten Destinationen gemeinsam mit unseren Leistungspartnern erreicht zu haben. Nun gilt es, diese Errungenschaft zu festigen, um in allen Talschaften einen Mehrwert zu generieren. Schlussendlich müssen die Leistungsträger einen Nutzen daraus ziehen können, und das wird nur mit Wachstum und einer Erhöhung der lokalen Wertschöpfung erreicht.
Welches sind die grössten Herausforderungen im Tourismus in den kommenden Jahren?
Der Mangel an Arbeitskräften wird uns weiterhin beschäftigen, die finanzpolitische Lage sowie die volatile politische Weltlage. Hier hat die Schweiz jedoch einen grossen Vorteil. Wir können auf eine stabile Politik zählen und die Gäste können sich bei uns jederzeit wohlfühlen. Wir haben in der ganzen Destination für jeden Gast tolle, personalisierte Angebote, und das hebt uns von anderen Regionen ab. Wir werden uns mit der Angebotsgestaltung vor Ort, der Digitalisierung sowie dem Marketing intensiv befassen, damit wir für noch mehr Gäste sichtbar werden, ein nicht einfaches Unterfangen im globalen Tourismusdschungel. Dazu gehören auch gute Infrastrukturen und die Erreichbarkeit das ganze Jahr hindurch, und zwar in allen Talschaften der Region. Unser Angebot mit dem ÖV-inklusive ist erfolgreich gestartet. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir durchaus Gäste auch noch bei mildem Novemberwetter begrüssen dürfen. Diese sanfte Saisonverlängerung kann nur funktionieren, wenn sich die Leistungsträger miteinander absprechen, denn der Gast möchte auch dann noch etwas vor Ort erleben dürfen. Wir wollen Gastgeber und Leistungsträger noch enger zusammenbringen, um gemeinsam die ganze Region aufzuwerten und einen Mehrwert für erlebnisreiche Ferien zu bieten. Die laufenden touristischen Leuchtturmprojekte in allen Talschaften geben mir grosse Zuversicht, dass wir noch wachsen können, und das kommt wiederum jeder einzelnen Gemeinde zugute.
Sie sind eine facettenreiche, engagierte Geschäftsfrau, Politikerin und nebenbei auch Bäuerin mit eigenem Agrotourismusbetrieb. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Der eigene Betrieb wird seit fast vier Jahren vor allem von meinem Ehemann geführt und ihm steht ein grossartiges Team zur Seite. Sicher, während meiner Freizeit heisst es, im Betrieb mitzuhelfen. Das ist für mich nichts Neues, da meine Grossmutter einen Gasthof hatte und ich als einzige Enkelin während der Schulzeit in der Nähe wohnte. Später im Export habe ich oft an den Wochenenden durchgearbeitet, um effizienter zu sein.
Können Sie auch mal abschalten? Und was machen Sie in der Freizeit am liebsten?
Selbstverständlich bin ich auch froh, wenn ich ab und zu im eigenen Garten oder im Rebberg in Ruhe in der Natur arbeiten darf oder mit «Ferdi », meinem Rauhaardackel, spazieren gehen kann. Da erhole ich mich dann. Ausserdem haben mein Mann und ich wieder begonnen, unserem Hobby nachzugehen und die Regularitäts-Rallye mit dem Oldtimer zu fahren. Auch organisiere ich seit drei Jahren eine Ausfahrt mit dem Veteran Club aus Brescia. Zweimal haben wir dabei eine Übernachtung im Val Müstair organisiert und heuer geht die Fahrt Mitte Juli nach Samnaun. Wir haben festgestellt, dass Samnaun in der Lombardei noch nicht so bekannt ist. Es ist mir wichtig, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt. Das Highlight wird jedoch die Mille Miglia sein, und das sind dann auch meine Ferientage. Mein Zeitmanagement geht nur auf, weil ich in allen Funktionen auf sehr gute Mitarbeiter zählen kann, und dafür bin ich dankbar.