Das Hotel Münsterhof um 1934.
Das Hotel Münsterhof um 1934. © Hotel Münsterhof

Die Engadin-Orientbahn und das Hotel Münsterhof

Annelise Albertin Man mag sich fragen, was eine Bahn mit einem Hotel gemein hat. In der Geschichte des Hotels Münsterhof in Müstair spielt sie eine Hauptrolle, denn ohne die Engadin-Orientbahn gäbe es diese Herberge nicht.

Das Hotel Münsterhof liegt an der Dorfstrasse von Müstair, heute an der Via Maistra, in unmittelbarer Nähe zum UNESCO-Welterbe Kloster St. Johann und somit an prominenter Lage. Dass das Hotel 1887 genau an diesem Standort entstand, ist in der geschichtsträchtigen Historie des Hauses dokumentiert und verankert.

Clotin Andri, der Gründer und Erbauer des Hotels Münsterhof, wurde 1826 in Müstair geboren. Mit jungen vierzehn Jahren musste er von daheim ausziehen, um in der Fremde sein Brot zu verdienen, was seinerzeit gang und gäbe war. Clotin war ein aufstrebender, fleissiger Bursche und brachte es nach harten Lehr- und Wanderjahren zusammen mit Domenic Bott, einem Landsmann aus dem Val Müstair, zum Mitinhaber zweier stattlicher Kaffeehäuser im Zentrum von Warschau. Polen gehörte damals zum russischen Reich, aber das Volk lehnte sich immer mehr gegen diese Besatzungsmacht auf. Clotin blieb während all den Jahren im Ausland eng mit seiner Heimat verbunden. Mit seiner Ehefrau, ebenfalls aus dem Val Müstair stammend, hatte er sieben Kinder. Wegen der angespannten politischen Lage in Polen trug sich der wohlhabende Geschäftsmann mit dem Gedanken, nach Hause zurückzukehren. Den endgültigen Ausschlag für die Heimkehr jedoch gab die Nachricht einer Bahnlinie, welche vom Engadin über den Ofenpass nach Norditalien führen sollte – die «Engadin-Orientbahn». Clotin Andri war ein gewiefter Geschäftsmann und sah darin eine grosse Chance.

Das Bahnprojekt

Der Reiseverkehr war vor der Erfindung der Dampfmaschine im späten 18. Jahrhundert eine beschwerliche und zeitraubende Angelegenheit. Nachdem die Dampfmaschine ungeahnte Möglichkeiten eröffnete, entstand in den Köpfen einiger Pioniere die Vision einer Bahnverbindung über die Alpen, welche den Norden mit dem Süden verbinden sollte. Verschiedene Varianten wurden geprüft und Verhandlungen geführt. Das Projekt scheiterte jedoch immer wieder, sei es aus technischen, finanziellen oder politischen Gründen. 1895 jedoch veröffentlichte der Zürcher Bahnpionier Adolf Guyer-Zeller seine Idee einer Normalspurbahn über den Ofenpass. Mit dieser Bahnstrecke zwischen Zernez und Mals über den Ofenpass sollte das letzte Teilstück für die Europa verbindende Eisenbahnlinie von London über Paris – Zürich – Bozen – Verona – Venedig und Triest bis nach Konstantinopel (Istanbul) erschlossen werden. Im Val Müstair bildete sich eine Interessensgruppe und gemeinsam mit den Inhabern der bereits errichteten Vinschgerbahn Meran – Mals wurde das Projekt angegangen. 1906 wurde das Konzessionsgesuch für eine Schmalspurbahn mit elektrischer Energie Mals-Zernez eingereicht. Doch wiederum stiessen die Initianten auf Widerstand, diesmal seitens des Bundes, welcher der geplanten Reschenbahn Landeck – Mals den Vorrang einräumte. Lange und zähe Verhandlungen zwischen dem Val Müstair, Bern und Wien folgten. Endlich, 1909, erteilte die Schweiz der Ofenbergbahn die Konzession. Doch damit war der Weg noch nicht geebnet und die Sache zog sich in die Länge. Es gab Schwierigkeiten aufgrund von grenzpolitischen, bau- und betriebstechnischen Faktoren … und dann brach der Erste Weltkrieg aus. Die Annektierung Südtirols durch Italien bereitete schlussendlich allen Bahnplänen ein endgültiges Ende.

Clotins Vision

1886 kehrte Clotin Andri mit seiner Familie ins Val Müstair zurück. Seine Anteile an den Kaffeehäusern in Warschau hatte er seinem Freund Bott verkauft, was ihm ein stattliches finanzielles Polster gab. Voller Tatendrang machte er sich daheim ans Werk, um seine Ideen umzusetzen. Die geplante Eisenbahnlinie würde dem Val Müstair einen touristischen Aufschwung verleihen, was Clotin für sich nutzen wollte. Ihm schwebte vor, das Tal dank seines milden Klimas zu einem Luftkurort zu machen. Es gab damals in Müstair zwar einige Gästezimmer, aber diese konnten natürlich die Bedürfnisse der nach Clotins Vorstellungen zu erwartenden Kurgäste niemals erfüllen. Also erstand er kurzerhand das Haus seines Vetters mitten in Müstair und begann 1887 mit dem Bau des neuen Hotels «Münsterhof». Die Lage in der Nähe des zukünftigen Bahnhofs war perfekt und Clotin träumte von einer baumgesäumten Allee, die von seinem Hotel direkt zum Bahnhof führen sollte. Leider erlebte Clotin Andri die Vollendung seines Hotels nicht mehr, denn 1889 verstarb er unerwartet. Das Hotel Münsterhof aber gibt es noch immer.

(Quelle: «Herr Clotin und die Orientbahn – Die Geschichte des Hotel Münsterhof» von Plinio Meyer)

Das Projekt der Engadin-Orientbahn 1898 dokumentiert.
Das Projekt der Engadin-Orientbahn 1898 dokumentiert. © Hotel Münsterhof
Das Hotel Münsterhof um 1915.
Das Hotel Münsterhof um 1915. © Hotel Münsterhof

Das Hotel Münsterhof in Müstair wird heute bereits in der 6. Generation von den Brüdern Kevin und Linus Meyer geführt. Das geschichtsträchtige Hotel schaut auf eine 136-jährige Tradition zurück und wurde 2017/18 neu renoviert.

Das Buch «Herr Clotin und die Orientbahn» kann im Hotel Münsterhof für CHF 25.00 bezogen werden.

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