Ida Spinnler ist 1924 geboren und in Piacenza aufgewachsen, weil ihre Eltern als ausgewanderte Engadiner*innen dort ein Geschäft führten. An Weihnachten erinnert sie sich noch gut. Auch weil sie dies ein wenig anders feierten als die Italiener*innen. Denn bei diesen, so die rüstige Dame, fand der Geschenkesegen jeweils am 13. Dezember statt, dem Tag der heiligen Luzia. Am 24. Dezember dann pilgerten die Italiener*innen in die Mitternachtsmesse und am 25. Dezember stand ein grosses Festessen auf dem Programm. Die Kirche besuchten sie nicht nur wegen der Messe, sondern auch wegen der Krippen, die in jeder Kirche aufgestellt und extra für den jeweiligen Ort gebaut wurden. Christbäume durften keine aufgestellt werden, da die Faschist*innen dies verboten hatten. Am 6. Januar schliesslich, dem Dreikönigstag bei uns, erschien «La Befana» und füllte die Strümpfe, welche die Kinder am Abend zuvor in den Kamin hingen, mit Süssigkeiten, Mandarinen und Nüssen.
Die Spinnlers hingegen feierten, immer noch an das Fest aus der Schweiz gewohnt, am Abend des 24. Dezembers Weihnachten – mit Weihnachtsbaum. «Wir durften einfach niemandem sagen, dass wir trotzdem einen Christbaum aufstellten», erinnert sich Ida Spinnler.
Zu essen gab es einen Kapaun, «Il capone» auf Italienisch, freut sich Ida noch heute. Kapaun ist ein kastrierter Hahn, den die Familie jeweils lebend kaufte und noch ein, zwei Wochen nachmästete; dann schliesslich selber schlachtete, rupfte, ausnahm und zubereitete. Ein wahres Festessen, weil einmalig im Jahr, wie Ida sagt. Zum Dessert gab es «Monte Cervino», Vermicelles mit Meringues und Rahm. An der Mitternachtsmesse konnten sie nicht teilnehmen, da sie reformiert waren. Gemeinsam mit den anderen Reformierten von Piacenza, insgesamt rund 50 Leute, trafen sie sich am 25. Dezember in einer kleinen Kirche. Anfangs hatten sie gar keinen Pfarrer, später kam dann ein konvertierter Katholik aus Bari. Fast etwas fanatisch sei er gewesen, weiss Ida noch, auch habe er sehr pathetisch gepredigt.
Und natürlich gab es auch Geschenke, schon an Weihnachten und nicht erst am 6. Januar und auch nicht am 13. Dezember. Oft hätten sie Dinge bekommen, die sie auch gebraucht hätten, sagt die fast 100-Jährige. «Wollsocken oder Wollleibchen, aber auch schöne Röckli oder mal ein Bilderbuch, dazu vielleicht noch eine Tafel Schokolade.»
Sehr, sehr bescheiden sei alles gewesen, erzählt Ida Spinnler, aber trotzdem seien es immer sehr schöne und gemütliche Weihnachten gewesen.