Immer wenn es wieder Winter wird, träume ich davon, die langen Abende schnitzend vor dem Cheminéefeuer zu verbringen oder am liebsten auch gerade die Sonntage und Samstage. Das Cheminéefeuer wäre nicht das Problem, sondern das Schnitzen respektive die Zeit, die fehlt dazu. Aber irgendeinmal, so sage ich mir dann jedes Jahr, irgendeinmal werde ich das machen. Schnitzwerkzeug hätte ich zumindest schon.
Krippenfiguren aus Müstair
Einer, der das Schnitzen nicht aufgeschoben hat, jedenfalls nicht lange, ist Erwin Wallnöfer aus Müstair. Am liebsten hätte er bereits eine Ausbildung als Holzschnitzer gemacht. Davon rieten ihm aber seine Eltern ab, aus Angst vor materiellen Problemen und prekären Verhältnissen. So hat Wallnöfer Koch gelernt und als Hobby geschnitzt. Zu Beginn vor allem Zwerge. Bei den Leuten seien diese sehr gut angekommen, sagt der mittlerweile 80-Jährige, weshalb er damit begann, Zwerge zu verkaufen. Schliesslich hätten die Kund*innen immer mehr gewollt und noch mehr verlangt, Wünsche, die Wallnöfer noch so gerne erfüllte. Er liess die Zwerge hinter sich und begann die verschiedensten Figuren zu schnitzen. Wie er dies denn gelernt habe, fragt man sich natürlich, schliesslich bin auch ich selbst diesbezüglich noch eher unbedarft. Er habe einige gute Schnitzer-Kollegen, sagt er, und dort habe er Unterricht genommen. Vor allem aber hat er immer selber probiert, getüftelt und gemacht und dabei viel gelernt. Mittlerweile sei sein Sortiment riesig, sagt er, wovon man sich mit einem Blick in seiner Werkstatt in Müstair oder auf die Website überzeugen kann: Engel, Madonnenfiguren, Heilige aller Art, Steinböcke, Adler und dergleichen mehr finden sich dort. Selbstredend, dass er auch alle Krippenfiguren im Sortiment hat, was im Hinblick auf Weihnachten von besonderer Bedeutung ist.
Die Vorarbeit erledige er mit der Fräse, erklärt der Schnitzer den Arbeitsablauf. Dann erst kämen die Holzschnitzwerkzeuge zum Einsatz. Für das Finish greift er zum Zahnarztbohrer und bezüglich des Materials schwört er auf Arve, Ahorn oder Linde. Je nach Schwierigkeit der Figur arbeitet er 4 Stunden oder 14 Tage an seinem Werk. Besonders schwierig findet er die Heiligenfiguren. Am Liebsten macht er Adler, Steinbock oder Madonnen. Sein Nachwuchs hat keine Lieblingsfiguren, schnitzt gar überhaupt nicht, weshalb das Ende seines Geschäfts absehbar sei, wie er meint.
Der mit der Motorsäge schnitzt
Nachwuchssorgen plagen Helmut Tschiderer aus Samnaun noch nicht, schliesslich steht er mitten im Leben und strotzt vor Tatendrang. Auch der Samnauner ist nicht gerade im ersten Anlauf zum Holzschnitzen gekommen. Wohl war das Interesse gross, aber auch die Furcht, davon nicht leben zu können. Deshalb absolvierte er eine Lehre als Koch, worauf ihn die Arbeit dann nach Samnaun führte. Nebst der Arbeit in der Küche schrieb er sich bei einem bekannten Lehrmeister zum Holzschnitzerlehrgang ein und bestand die Abschlussprüfung in Wien mit Bravour. Tschiderer arbeitet nicht nur mit Holz, sondern auch mit Metall. Bronzegiessen sei etwas vom Liebsten, das er mache, sagt er. Die Giesserei hat er sich der Einfachheit halber gleich zu Hause eingerichtet, sprich in seinem Atelier, dort befindet sich auch die Holzwerkstatt. Stechbeitel und ähnliche Schnitzwerkzeuge, wie sei bei Wallnöfer zu sehen sind, braucht er allerdings kaum mehr. Tschiderers Schnitzen ist eher ein Sägen. Sämtliche seiner Werke erschafft er mit Motorsägen in verschiedenen Grössen. Umso erstaunlicher, dass dies den Werken nicht anzusehen ist. Trotz der eher brachial scheinenden Methode wirken seine Skulpturen fast schon filigran. Und das Beste am Ganzen: Er gibt sein Wissen auch in Workshops weiter. Zwar eignet sich die Motorsägemethode nur bedingt als Arbeit an langen Winterabenden vor dem Cheminée, eindrücklich ist der Schaffensprozess aber allemal.
Vielfalt an Material und Technik
Was den Nachwuchs angeht, so braucht sich mittlerweile auch Dani Cotti aus Ramosch kaum mehr Sorgen zu machen. Denn Tochter Carmen absolviert gegenwärtig die vierjährige Lehre zur Holzbildhauerin an der Schule für Holzbildhauerei in Brienz. Damit tritt sie in die Fussstapfen ihres Vaters, der dieselbe Ausbildung genossen hat, nachdem er zuerst Schreiner gelernt hat. Carmen Cotti ist ausgebildete Primarlehrerin. Dani Cottis «Schnitzereien» haben sich im Laufe seines Lebens verändert. Krippenfiguren beispielsweise mache er fast keine mehr. Es sind Bildhauerarbeiten in Bronze, Stein, Glas, Holz und anderem. Freiheit im Gestalterischen! Die Freiheit bezieht sich dabei auf die Wahl der Materialien genauso wie auf die unterschiedlichsten Werke. Unlängst konnte er in Zusammenarbeit mit den Architekten die neue Ausstellung im Nationalparkzentrum Zernez mitgestalten. Für den Kreisel in Pontresina hat er die Skulptur des immensen Bronze-Steinbocks modelliert und die Umgebungsarbeiten entworfen. Für die Kirche Celerina hat er die Kirchenfenster mit geschmolzenem Glas neu als eine Art Kreuzweg gestaltet. Nicht zu vergessen sind seine Engagements beim Eispalast oder dem Lichterwald bei Sur En in Sent in den vergangenen Jahren. Er habe in Brienz wohl Holzbildhauer gelernt, sich dabei aber vor allem auch das Rüstzeug für seine vielseitige künstlerische Arbeit geholt. Das lebe er nun in vollen Zügen aus.
Vom geträumten Schnitzen am Feuer bis zu meinem effektiven Ausleben der handwerklichen Kunst ist es schon noch ein grosses Stück, ein grosser Spalt tut sich quasi dazwischen auf. Diesen ein Stück weit zu schliessen, das könnte gelingen, mit Kursbesuchen bei der pro manufacta engiadina in Scuol. Dort gibt es Kurse in Arvenholz-Schnitzen oder Drechseln, quasi als sanften Einstieg ins neue Metier. Denn eines ist sicher, der nächste Winter kommt so sicher wie die Steuererklärung.