Es war, als habe sie das Steuer von einem Bus in voller Fahrt übernommen, so sei es ihr zu Beginn zumindest vorgekommen, erinnert sich Cornelia Schwab. Zu Beginn, das war März 2020, und sie vorerst Geschäftsführerin, der Bus ist die Fundaziun Nairs in Scuol, und nur ganz kurz hat die Film- und Theaterexpertin dabei an Sandra Bullock im Film «Speed» gedacht.
Tempo ist die gebürtige Ostdeutsche aus Berlin jedoch gewohnt, und flexibel ist sie auch. Das habe ihr mal ein Coach attestiert. «Abenteurerin» habe diese sie gar genannt, was Cornelia Schwab dann aber doch etwas übertrieben fand.
Das Tempo kennt sie aus ihrer Fernsehzeit. Rund zehn Jahre war sie als Produzentin für verschiedene deutsche Fernseh-Produktionsfirmen tätig. Wer jetzt an SRF und die kolportierte Beamtenmentalität denkt, den belehrt die Frau eines Besseren. «Schweizer und deutsches Fernsehen sind nicht zu vergleichen.» In Deutschland sei der Druck viel grösser, wohl gäbe es mehr TV-Sender und mehr TV-Produktionen, aber auch viel mehr Konkurrenz. Heute, zuzeiten der Streaming-Dienste habe sich die Lage jedoch etwas beruhigt, da vielmehr produziert und entwickelt werden kann.
Druck im deutschen Fernsehen
Als Produzentin war sie dafür zuständig, Aufträge zu akquirieren oder Serien zu entwickeln, eine zwar reizvolle, aber auch anstrengende Aufgabe, weil unter den Produzenten ein intensiver Wettbewerb stattfinde. Aus ihrer Zeit als Produzentin kennt sie sich auch 1A mit dem Sinus-Milieu aus. So nennen die Profis eine Gesellschafts- und Zielgruppen-Typologie, die Markt und Trendforschung ermöglicht und somit zielgruppengerechte Produktion von Serien oder eben auch von Kulturbetrieben ermöglicht. Ihr Milieu in Nairs kann sie bereits sehr genau definieren: «Das Publikum des Nairs würde sich auch in Berlin Mitte gut machen, ist hauptsächlich zwischen Ende 30 bis über 70 Jahre alt und setzt sich zusammen aus Locals, aber auch aus Zweitheimischen und Touristen, es seien interessanterweise viele ältere kulturaffine Frauen darunter, und insgesamt sei es ein gebildetes, waches und anspruchsvolles Publikum. Einzig Laufkundschaft gäbe es keine, weil das Nairs dafür zu wenig ideal gelegen sei.
Doch Cornelia Schwab nur auf ihre Fernsehzeit zu reduzieren, greift zu kurz. «Ich bin eine Generalistin.» Diesen Umstand verdankt sie, wie sie sagt, auch ihrem Studium in Theaterwissenschaften und Dramaturgie in der damaligen DDR. Das sei ein hervorragender, äusserst breit abgestützter Studiengang gewesen, freut sie sich noch heute. Eigentlich war das damals schon das, was man heute als Kulturmanagement bezeichne. So habe auch die gesellschaftliche und öffentliche Kommunikation als Strategie und Handwerk eine wichtige Rolle gespielt. Und am liebsten wäre sie schon im Arbeiter- und Bauernstaat zum Fernsehen gegangen, doch dafür fehlte ihr das Parteibüchlein, welches sie zutiefst ablehnte.
Tempo am Theater
Deshalb ging sie ans Theater, das heisst, sie gründete gerade ihr eigenes. Denn inzwischen gab's die DDR nicht mehr, und Schwab erlebte eine aufregende und auch temporeiche Zeit in Leipzig. Dies manifestierte sich auch in ihrem Theaterhaus, das ein Ereignis-Theater war, eine Art Schnittstelle aus Theater, Event und Party. Während dieser Theaterzeit und Ende der 90iger-Jahre, wieder in Berlin, arbeitete sie mit so berühmten Leuten wie Jochen Sandig, Sasha Waltz oder Frank Castorf zusammen. Letzterer lieferte dann auch die Referenzen für ihre Bewerbung in Nairs.
In die Schweiz kam sie dann doch noch wegen des Fernsehens, weil sie ein Jobangebot in Zürich beim Schweizer Fernsehen hatte. Nach einem Wechsel in der dortigen Chefetage, einem dreijährigen Arbeitsaufenthalt am Schauspielhaus Zürich und einer Zusammenarbeit mit der European Star Cinema in Basel ging sie ins strategische Business Development. Zu entwickeln hatte sie unter anderem Neurozentren für ihren damaligen Chef, einen Neurologen. Die Anfangsphase eines solchen Projektes sei zu vergleichen mit der Entwicklung eines TV-Piloten, also einer Art Test-Serie fürs Fernsehen – und damit kannte sie sich aus. Die Entwicklung des Neurogeschäftes lief gut. Innert kurzer Zeit entstanden mehrere Zentren, eine Zusammenarbeit mit der Hirslanden-Gruppe und ein insgesamt sehr erfolgreiches Geschäftsmodell, was den Chef freute. Ihr Engagement im Medical Business habe sie aber immer als endlich gesehen, weshalb sie nochmals etwas inhaltlich anderes tun wollte. Die Theologie interessierte sie, denn in der DDR war Religion vielfach verschmäht. Also bewarb sie sich für einen berufsbegleitenden Master in Theologie als Quereinsteigerin und wurde angenommen. Sie wollte gern in einem schweizerischen Bergdorf reformierte Pfarrerin werden. «Die Berge fehlten mir als Lebenswirklichkeit in meiner Vita, das wollte ich unbedingt erleben. Ich wollte in den Berg gehen», wie meine Schwester, die schon in den Bergen wohnt, es nennt.»
Dann sah sie aber das Inserat vom Nairs, wo eine Co-Direktorin gesucht wurde. «Die suchten jemanden, der alles machte und konnte. Von Buchhaltung, über Administration, Strategie, Kommunikation und Programmierung und so weiter. Spontan und ohne viel Aufhebens habe sie sich beworben, obwohl die Anmeldefrist gerade abgelaufen gewesen sei. Dafür aber eben mit Referenzen von Frank Castorf. Christoph Rösch und Urs Padrun bestellten sie zum Vorstellungsgespräch, welches sehr gut verlaufen sei. Nach längerem Ringen mit sich selbst habe sie sich dann schliesslich dafür entschieden, die Stelle anzunehmen. Einige Leute in ihrem Umfeld hätten sie daraufhin für verrückt erklärt. Sie aber fühlt sich zum ersten Mal richtig wohl in der Schweiz und sieht ihre neue Aufgabe als Verschränkung all ihrer bisherigen Tätigkeiten und Erfahrungen – und sitzt fest hinter dem Steuer.