Seit wann besitzen Sie eine Zweitwohnung in Scuol?
Zusammen mit meinem Schwager konnten wir bereits 1994 die Vision eines selbst gestalteten Zweitwohnsitzes in der Fraktion Scuol realisieren, sind also bereits seit Jahrzehnten mit der Region verbunden.
Wieso gerade Scuol, was schätzen Sie am Ort?
Das Unterengadin ist eine für uns attraktive Region: geografisch, klimatisch, historisch/kulturell, landschaftlich, politisch unterscheidet es sich substanziell von der Alpennordseite. Frühere Besuche, Ursprünglichkeit der Natur, freundliche Kontakte mit Einheimischen, Scuol als Zentrumsort, der die täglichen Bedürfnisse abdeckt (Konsum, Dienstleistungen, Sport, Gesundheit, etc.). «Nicht mondän», Bahnstation zum unkomplizierten Erreichen der Destination waren weitere Pluspunkte.
Wie hat sich der Ort in der Zeit verändert?
Der Vereina-Tunnel hat die Region zur Schweiz ganzjährig «geöffnet» und auf Strasse und Schiene viel besser erreichbar gemacht. Das löste bauliche Erweiterungen und touristische, wirtschaftliche Belebung aus, sorgte also generell für «mehr Betrieb». Durch die Fusion der ehemals sechs selbstständigen Gemeinden zur neuen Gemeinde Scuol ist ein anspruchsvoller Prozess angeschoben. Professionalisierung der touristischen Angebote. Die Gemeinde bleibt aber wirtschaftlich sehr stark vom Tourismus abhängig. Es ist heute anspruchsvoll, die hergebrachte Bausubstanz zu erhalten.
Wie hat sich das Verhältnis der Einheimischen zu den Zweitheimischen verändert?
Beide Gruppen sind ziemlich heterogen zusammengesetzt, es ist also schwierig zu generalisieren. Ich glaube aber, dass wir uns gegenseitig in den letzten Jahren besser kennengelernt haben und heute eher bereit sind, gemeinsame und auch unterschiedliche Interessen und Sichtweisen verstehen zu wollen.
Fühlen Sie sich als Zweitheimischer akzeptiert und geschätzt oder eher gemolken wie eine Kuh?
Persönlich fühle ich mich geschätzt und akzeptiert – das Bild der Milchkuh ist ein alt überliefertes, immer noch wirksames Klischee und beruht oft auf fehlender Information oder Bereitschaft, sich näher mit den Verhältnissen am Ort zu befassen.
Und weshalb braucht es die IG ZWET und was sind ihre wichtigsten Anliegen?
Es ist der IG ZWET ein grosses Anliegen, die spezifischen Interessen der Zweitheimischen zu artikulieren und zu vertreten. Die Zweitheimischen sind treue Gäste, Steuerzahler, Konsumenten, aber auch Botschafter für die Destination. Sie sind von den Beschlüssen der Gemeinde und von touristischen Institutionen betroffen, ohne mitbestimmen zu können. Daher ist es wichtig, mit allen lokalen Behörden und Organisationen einen vertrauensvollen Kontakt zu etablieren und zu pflegen, um auf diese Weise mindestens mitsprechen zu können. Diese Mitwirkung/Mitsprache nehmen wir heute erfreulicherweise in unterschiedlichen Gremien wahr! Transparenz und gegenseitige Achtung tragen dazu bei, Vertrauen zu schaffen. Dies ist Voraussetzung dafür, bei unterschiedlichen Interessen konstruktive Problemlösungen auf solche Weise zu finden, dass Zweitheimische, Einheimische und Kurzzeitgäste sich nicht diskriminiert, sondern fair behandelt fühlen. Unabdingbar sind offene und transparente Kommunikation und kontinuierliche Begleitung der Prozesse – dafür setzen wir uns aktiv ein, beispielsweise bei der gemeinsam mit der Gemeinde in Auftrag gegebenen, aktuell laufenden Wertschöpfungsanalyse.
Hat sich die Situation der Zweitheimischen mit Corona verändert, waren Sie öfter im Tal und konnten Einfluss nehmen?
Einflussmöglichkeiten auf die aktuellen Massnahmen seit Ausbruch der Pandemie hatten wir keine – die Entscheide wurden auf Bundes- oder Kantonsebene getroffen. Die Reaktionen der einzelnen Zweitheimischen waren sehr unterschiedlich, abhängig von den individuellen Rahmenbedingungen und Befindlichkeiten, aber verantwortungsbewusst. Besonders unsere ausländischen Mitglieder haben unter den Einschränkungen gelitten. Persönlich hat sich unser Aufenthaltsstatus nicht gross verändert, auch wenn die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Restriktionen sehr spürbar (für alle!) sind, oder hoffentlich nun bald «waren». Über längerfristig mögliche Veränderungen spekuliere ich nicht …
Haben Sie sich auch schon überlegt, Ihren Wohnsitz ganz nach Scuol zu verlegen?
Altersbedingt können wir die Vorzüge der Region nicht mehr im ursprünglichen Umfang nutzen – obschon hier heimisch geworden, liegt unser Lebensmittelpunkt im Unterland (Familie und Freunde, persönliches Umfeld). Aber es gibt eine ganze Reihe von Zweitheimischen, die den Schritt in den letzten Jahren vollzogen haben oder jetzt ernsthaft planen.
Was könnten die Zweitheimischen, was die Einheimischen nicht können oder wie können sich die Zweitheimischen im Tal einbringen?
Zweitheimische haben oft einen anderen Erfahrungshintergrund und können daher generell «andere Perspektiven» einbringen, Fragen stellen. Viele verfügen über Spezialkenntnisse oder wertvolle Verbindungen, möchten sich aber nicht (mehr) unbedingt aktiv in der Öffentlichkeit oder in Vereinen etc. engagieren. Eine (digitale?) Plattform würde unter Umständen neue Kontaktmöglichkeiten schaffen.
Wollen Sie das auch, und werden solche Initiativen geschätzt?
Grundsätzlich – so mein Eindruck – werden Initiativen geschätzt, wenn sie nicht aus Eigennutz ergriffen werden. Ich begnüge mich mit dem Einsatz für unsere IG.
Wie stellen Sie sich das ideale Zusammenleben von Ein- und Zweitheimischen vor?
Geprägt durch gegenseitige Achtung und Verständnis für jeweilig andere Sichtweisen (seien die nun kulturell oder sozial oder sonstwie begründet) mit der Bereitschaft, im Gespräch gemeinsame Lösungen zu finden – eigentlich nicht anders, als in jeder anderen Gemeinde: wir sitzen alle im gleichen Boot!
Alle Zweitheimischen, die uns durch Beitritt, Mitgliedschaft und/oder aktive Mitwirkung unterstützen, stärken unsere Position und letztlich das erfreuliche Miteinander in Scuol! zwet-scuol.ch