Otmar Derungs bewegt sich in erster Linie innerlich, äusserlich ist er eher stationär. Aufgewachsen in Ftan, lebt er nun seit rund 40 Jahren in Strada. Obwohl, in Zürich war er zwischendurch mal, zehn Jahre hat er dort gelebt. Noch immer beginnen seine Augen zu leuchten wenn er davon erzählt. «Das war eine super Zeit, 1970/71 bin ich nach Zürich gezogen und kam mitten in die Hippie-Flower-Power-Zeit.» Bellevue, Odeon und Riviera seien damals die Plätze gewesen, an denen sie sich meistens aufgehalten hätten. Erst habe er bei der Post gearbeitet und dann alles Mögliche gemacht, gewohnt habe er immer im Kreis 4.
Vor allem aber hat Otmar in seiner Zürcher Zeit begonnen zu malen und sich damit einen Traum erfüllt. Denn eigentlich wollte er schon immer Maler werden, «Bildermaler» präzisiert er. Allerdings stand er mit seinem Berufswunsch in Ftan etwas quer in der Landschaft, sodass er ihn auch nicht offensiv formulierte. In Zürich aber stand er auf eigenen Beinen und schrieb sich beim Künstler Benito Steiner ein. Zwei Jahre lang blieb er dort und erlernte die Technik des Zeichnens und der Malerei.
Die Welt vor der Haustüre
Trotzdem hatte er dann irgendwann in Zürich das Gefühl, er müsse wieder zurück ins Engadin. In einem alten Haus wollte er wohnen, sein Ding machen, mal für ein Jahr. Wir kennen die Geschichte, aus dem einen Jahr sind über 40 geworden, die er allesamt in Strada verbracht hat. Und sein Ding macht er immer noch. Denn er will so leben, dass er so wenig Sachen wie möglich machen muss, die ihm nicht gefallen. Punk eigentlich. Tatsächlich hat er mal in so einer Band gespielt. Wenn er jetzt aber musiziert mit seiner Gitarre, widmet er sich vor allem dem Blues. «Stundenlang könne er spielen und improvisieren,» sagt Derungs. Vielleicht, weil die Grundform des Blues so klar definiert ist. Sie hat zwölf Takte, und die Melodie wird mit drei Akkorden harmonisch begleitet. Denn, so scheint es, Derungs braucht feste Werte im Leben, unverrückbare Strukturen, über die er improvisieren kann.
Von sich selber sagt er, dass er keiner ist, den es in die weite Welt ziehe. Wenn man auf sich genau achte, habe man, sprich er, die grosse Welt um sich in Strada, vor der Haustüre also. Selbst nach 40 Jahren habe er da noch lange nicht alles gesehen und geht deshalb immer noch mit wachem Blick und grosser Aufmerksamkeit nach draussen. Fischen ist ein grosses Hobby von ihm, wie die zahlreichen Ruten bezeugen, die im Eingang seines Hauses stehen. Auf die Jagd geht er ebenfalls, doch er mag alle Tiere auch lebend. So faszinieren ihn vor allem Vögel. Je mehr er sich mit ihnen beschäftige, desto grösser werde das Interesse, hat er festgestellt. Sein Lieblingsvogel ist der Uhu, vielleicht, weil der auch nachtaktiv ist. Tatsächlich hat er auch schon wissenschaftlich gezeichnet respektive sein Talent in den Dienst der Naturkunde gestellt. Sämtliche Illustrationen auf den Tafeln des Warzenbeisserpfades hat er gezeichnet, worauf er sichtlich stolz ist. Der Warzenbeisserpfad ist ein Lehrpfad zur Natur und führt von Tschlin nach Strada.
Verzierte Häuser und Warzenbeisser
Auch Häuser hat er schon verziert respektive bemalt. So zum Beispiel das Hotel Central in Valchava oder die Chasa Paradies in Scuol, und er hat einige Fassaden in Sgraffito-Technik gestaltet.
Die meiste Zeit, wenn er malt, malt er aber auf Leinwand oder Papier. Und die meiste Zeit, wenn er malt, malt er dasselbe. Fixe Grundstrukturen eben. So findet sich auf seinen Bildern immer ein Baum, ein Berg und ein Tier. Wobei, hier habe er gewechselt, er male jetzt zwei Tiere, meint er mit verschmitztem Lachen. Es gibt auch noch weitere, kleinere Nuancen. So sei anfangs fast alles blau gewesen, jetzt variiere er die Farben. Und er sei selber erstaunt, dass er dieses strukturierte Malen noch nicht langweilig fände, sagt er. Damit es nicht so weit kommt, variiert er immer wieder über der Grundstruktur, wie beim Blues eben. Er verändert den Baum oder auch die Tierchen, aber egal, wie viel Mühe er sich gebe bei dem Baum und den Tieren, nie schaffe er es, etwas zu malen, das es in der Natur nicht gebe, weil es dort einfach alles gebe. Mal habe er versucht, kleine «Mönsterchen» zu malen, Fantasiewesen eben. Bis ihm ein Biologe genau diese unter einem Mikroskop gezeigt habe.
Höchstens etwas erstaunt, aber vor allem hocherfreut ist er, dass er von seiner Kunst leben kann, ein bescheidenes Leben zwar, doch es habe immer funktioniert. Jetzt mit der AHV sei es noch besser, lacht er. Und bewegt sich vom Tisch weg, an dem er während des Gesprächs gesessen ist. Eine kleine äusserliche Bewegung, bevor dann wieder die innerlichen kommen.