Es geht um eine bewusste und tiefere Lebensführung

Jürg Wirth Dr. Markus E. Peters ist katholischer Pfarrer in Samnaun. Im Interview spricht er über unser Verhältnis zum Tod oder auch zum Stand der katholischen Kirche im Allgemeinen.

Am 1. November ist Allerheiligen, wo den Verstorbenen gedacht wird. Wie begehen Sie diesen Tag in Samnaun?

Eigentlich wäre ja der Totengedenktag, das Allerseelenfest, am 2. November. Aber es ist gute Tradition, dies am Allerheiligentag zu begehen, am Fest derer, die uns als Vorbilder im Glauben bereits in die Ewigkeit bei Gott, unserem Schöpfer, vorausgegangen sind. Vergessen wir nicht, dass wir Katholiken ja nicht die Heiligen anbeten, sondern verehren; und es ist tröstlich, unsere lieben Entschlafenen im Schosse unseres himmlischen Vaters zu wissen. Nun zum «formalen» Aspekt Ihrer Frage: Wir feiern in beiden Kirchen in Samnaun-Compatsch und Samnaun Dorf jeweils die morgendliche Heilige Messe, und am Nachmittag dann die traditionelle Totengedenkandacht mit anschliessendem Gräberbesuch und -segnung auf unserem Friedhof.

 

Hat sich der Brauch respektive der Ablauf dieses Tages über die Jahre verändert?

Nein; die Menschen hier – und auch andernorts natürlich – haben ein sympathisches, tief empfundenes Feingefühl für die zu bewahrenden Traditionen des Glaubens.

 

Generell drohen Tod und Sterben etwas aus der Gesellschaft verbannt zu werden, wie nehmen Sie das wahr?

Ja, da ist richtig. Aber es ist nun mal ein Urgesetz der Natur und jeglichen Lebens auf Erden: jedes Lebewesen, selbst bestimmte extrem langlebige Bäume oder auch Tierarten, hat ein vom Schöpfer vorbestimmtes Datum seines Beginns und seines Endes auf dieser Erde...

 

Versuchen Sie, etwas dagegen zu unternehmen?

Natürlich nicht. Das Sterben ist ein leider sehr angstbesetztes Thema. Da mit plumpen «theologischen Richtigkeiten» daherzukommen, hilft da nicht. Das wird jeder Mensch – ich eingeschlossen – bestätigen, der schon ihm liebe Menschen im Diesseits verloren hat. Nichtsdestotrotz ist es Aufgabe JEDES Christen, gleich welchen Bekenntnisses, immer wieder auf die Endlichkeit unseres Lebens aufmerksam zu machen. Es geht dabei nicht um «Angstmache», sondern – im Gegenteil – um Ermutigung zu einer bewussten und tieferen Lebensführung. Auf einer Sitzbank vor dem Seniorencenter steht ein schöner Sinnspruch geschrieben: «Es geht nicht (nur) darum, dem Leben viele Jahre zu geben, sondern unseren Jahren möglichst viel Leben.» Beispiele von sehr jung verstorbenen Heiligen, die sich genau dies zum Lebensprinzip gemacht haben, sind etwa die hl. Antonietta Meo (1930-1937), Maria Goretti (1890-1902) oder gerade sehr aktuell Carlo Acutis (1991-2006).

 

Weshalb, denken Sie, ist das so?

Angst vor dem Tod – oder noch vielmehr vor dem Sterben – ist gerade in den westlichen Wohlstandsgesellschaften ausgeprägter als andernorts. Es fällt freilich schwerer, hinzunehmen, dass das sprichwörtliche «letzte Hemd» eben nun einmal keine Taschen hat. Ich bin viel unter albanischen Christen, zum Teil materiell recht armen Menschen, die über ihren Heimgang viel getroster sprechen als wiederum andere.

 

Wie sind die Beerdigungen in Samnaun? Gibt es da noch den Trauerzug durchs Dorf mit Sarg oder Urne?

Auch hier herrscht ein schönes, begrüssenswertes Traditionsbewusstsein. Aber die formale Gestaltung ergibt sich aus den liturgischen, vom Heiligen Stuhl approbierten Büchern und Ritualen. Da gibt es nicht «Spezielles». Ob es einen Zug von unserer (Aufbahrungs-)Kapelle im Seniorencenter gibt oder nicht, ist situativ jeweils ein wenig anders und hängt auch ab von der Bestattungsart: Erdbestattung (hier noch recht geschätzt) oder auch Urnenbeisetzung.

 

Ebenfalls ist zunehmend zu beobachten, dass Abdankungen nur noch im engsten Familienkreis stattfinden. Wie stehen Sie dazu, können Sie das nachvollziehen?

Dazu kann ich nur wenig sagen. Auch Samnaun hatte mitunter privat organisierte Abdankungs-/Beisetzungsfeiern im Familienkreis, das ist aber selten. Grundsätzlich gilt bei diesem doch menschlich heiklen «letzten Dingen», den Wunsch eines Heimgegangenen und/oder seiner Angehörigen zu respektieren und allenfalls einen Rat dann zu geben, falls dies gewünscht ist.

 

Wie erleben Sie Beerdigungen respektive die Begegnungen mit den Hinterbliebenen?

Im Grunde eine – bitte recht verstanden – «schöne» und dankbare Aufgabe. Theologisch und aus dem Glauben heraus wissen wir, dass wir unseren lieben getauften Verstorbenen noch einen wirklichen Dienst erweisen dürfen, indem wir das Heilige Messopfer darbringen, welches ihren Seelen objektive Gnaden erwirkt (Konzil von Trient ist da eindeutig) und indem wir alle miteinander uns im Gebet ein wenig unterstützen können. In jeder krisenhaft-existentiellen Lage wie Krankheit oder Tod gehen Glaube und gemeinsames Gebet sowie Zuhören und miteinander Sprechen eine regelrechte «Partnerschaft» ein, die hilft, Krisen im Leben zu meistern.

 

Sie sind Pfarrer der katholischen Kirche, die hat momentan einen eher schwierigen Stand, Stichwort Missbrauch, etc. Spüren Sie dies, und was versuchen Sie dagegen zu unternehmen?

Freilich wird immer wieder, auch in meinem Berufsalltag und -umfeld, über solche und andere Fragen gesprochen. Es geht schliesslich um Glaubwürdigkeit und Authentizität eines JEDEN Christenmenschen (ob «Amtsträger» oder auch jeder andere Gläubige) im Alltag. Die Gebote der Heiligen Schrift und die Lehre der Kirche müssen wir alle miteinander so glaubwürdig wie nur möglich im Alltag, Beruf und Familie auch leben! Ich unterstütze freilich jedes Engagement, das dazu beiträgt, derlei Skandale, wie Sie sie ansprechen, aufzuarbeiten, transparent zu machen und dagegen mit Wort und Tat anzutreten. Die Weltkirche und auch die Bistümer der Ortskirchen haben dazu – Gott sei Dank – doch einige gute Schritte und Massnahmen eingeleitet, auch hier bei uns im Bistum Chur. Eine andere Frage ist freilich die oft auch fehlende Proportionalität in der medialen Berichterstattung. Da sind die Print- und Funkmedien im Blick auf die Kirchen – so mein Eindruck – weitaus eifriger als in anderen Feldern von Gesellschaft, Politik, Bildungseinrichtungen oder Sport. Das ändert aber nichts an der dringenden Aufgabe, besonders im Bereich der Religionsgemeinschaften, sehr sensibel zu sein und gegen jedes Unrecht gegen schutzbefohlene Menschen energisch aufzutreten UND zu handeln.

 

Weshalb sind Sie Pfarrer geworden und würden Sie das wieder tun?

Diese Entscheidung traf ich bereits als Jugendlicher. Seit meiner Konfirmation (ich war damals noch evangelisch) zog es mich sogar täglich in die Kirche: Samstag/Sonntag in die evangelische Kirche und montags bis freitags fast jeden Morgen noch vor der Schule zur katholischen Frühmesse um sieben Uhr, also gerade kurz vor Schulbeginn. Ja, der Priesterberuf ist etwas Wunderbares. Menschen in allen Lebensaltern und Lebenslagen – soweit gewünscht – beistehen zu dürfen, ist ein wahres Geschenk. Es gibt nichts Besseres als das Evangelium, also die Frohe Botschaft vom menschgewordenen Gott und dies verkündigen zu dürfen.

 

Würden Sie diesen Beruf weiterempfehlen?

Im Grundsatz ja! Freilich würde ich im Vier-Augen-Gespräch immer sehen wollen, wer wie wozu und wodurch motiviert ist und ob jemand eher für einen Dienst in der Welt als Diözesangeistlicher geeignet ist oder aber auch als Ordenspriester. Auch bieten die einzelnen Priesterseminare und Bistümer des deutschen Sprachraums sehr unterschiedliche geistliche/modern-progressivere oder eher konservativ-traditionellere Ambiente an. Da muss man auch etwas Glück haben, um als Interessierter auf das «richtige» Bistum bzw. Erzbistum zu treffen. Nicht jedes Seminar ist für jeden Kandidaten gleich gut geeignet. 

 

Welches der christlichen Feste ist Ihr Liebligsfest?

Ostern! Das heilige österliche Triduum (= drei Tage) vom Sterben. Leiden und die Auferstehung Jesu Christi ist atmosphärisch wie liturgisch so unfassbar dicht, tragisch und freudvoll zugleich! Dass wir Christen einen Gott kennen und haben, der sich zu Weihnachten als hilfloses Baby in die Niederungen unseres Menschseins herabbegeben hat und dass wir einen himmlischen liebenden Vater haben, der die Ereignisse zwischen Karfreitag und der Auferstehung seines Sohnes zugelassen hat, ist einfach wunderbar. Nie, niemals, können wir Getauften tiefer fallen als in die liebenden Hände des Vaters und Schöpfers dieser – wenn auch zur Zeit gerade sehr aufgeriebenen - Welt!

© zvg

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