Es braucht Leidenschaft für den Tourismus

Jürg Wirth Bernhard Aeschbacher ist Direktor der Tourismusorganisation Engadin Scuol Samnaun Val Müstair AG (TESSVM). Im Interview gibt er Auskunft darüber, wo er selber gerne Ferien macht, wie es im Team läuft und was die nächsten Ziele der Destination sind.

Welches ist Ihr liebstes Ferienziel?

Ich bin am liebsten in der Schweiz und in den Alpen unterwegs. Ich bin auf einem Bauernhof im Berner Seeland aufgewachsen, dort ist es flach und im Winter häufig neblig. Die Berge haben mich bei den Familienausflügen ins Berner Oberland immer schon fasziniert. Nun arbeite und lebe ich dort, wo andere Ferien machen, das ist für mich die «ultimative Lebensqualität», um einen anderen Seeländer zu zitieren. Im Herbst bin ich mit meinem persönlichen Wanderprojekt gestartet: Ich will im Laufe der nächsten drei bis vier Jahre von Samnaun nach Genf wandern. Ich habe nun 12 Jahre in Samnaun gelebt und war vor rund 20 Jahren auch einmal zwei Jahre in Genf, als ich bei den SBB als Zugbegleiter gearbeitet habe. Mit meiner Wanderung von Samnaun nach Genf verbinde ich zwei unterschiedliche Epochen in meinem Leben.

 

Kann man als Touristiker «normal» Ferien machen oder vergleicht man immer und ist auf Ideensuche?

Eine gewisse «Déformation professionelle» kann ich nicht abstreiten: Ich freue mich immer über besonders gute Beispiele von Gastfreundschaft und überlege mir, was wir auch bei uns in der Destination umsetzen könnten.

 

Was ist Ihnen wichtig in den Ferien, wie wählen Sie Ihre Ziele aus?

Gutes Essen schätze ich jederzeit, besonders auch während der Ferien. Die Outdooraktivitäten in der Umgebung sind mir wichtig: Im Sommer die Wandermöglichkeiten, im Winter die Wahl des Skigebietes. Die Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr ist vor allem in den Sommerferien ein Aspekt, den ich bei der Auswahl berücksichtige: Ich fahre gerne mit dem Auto, aber noch lieber bin ich im Zug unterwegs: Reisen im Zug ist für mich Quality Time.

 

Was ist Ihnen wichtig an der hiesigen Destination?

Die Vielfalt und Qualität des Angebotes in unserer Destination sind beeindruckend. Das macht es uns Touristikern nicht immer ganz einfach, dies zu vermitteln: Man muss es einfach erlebt haben, um es vollständig zu erfassen und zu verstehen. Das ist sicher ein wichtiger Grund, wieso wir einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Stammgästen haben.

 

Wieso sollten die Gäste hierherkommen?

Unsere Destination ist nicht überlaufen und die Erlebnisse sind sehr authentisch. Den Besuchern und Besucherinnen fällt sofort positiv auf, dass man sich auf der Strasse grüsst. Unsere unberührte Natur, unter anderem mit dem Schweizerischen Nationalpark und der Biosfera Val Müstair, das einzigartige Mineralwasser mit der Kurtradition in Scuol und Vulpera, die romanische Kultur in all ihren Facetten, oder das Top-Skigebiet mit der Silvretta Arena Samnaun/Ischgl sind nur einige Gründe, wieso sich ein Besuch bei uns lohnt. Man entdeckt bei uns in der Destination immer wieder neue Trouvaillen, das geht mir auch als Tourismusdirektor genau gleich: Auch nach 12 Jahren bin ich immer noch neugierig und auf Entdeckungstour, das ist wunderbar!

 

Die Destination hat sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben, wie steht es darum?

Die Nachhaltigkeit wurde in den letzten beiden Jahren nicht nur in der DMO-Strategie weiter verankert, sondern sie nimmt auch in der Agenda 2030 als Querschnittsthema eine wichtige Rolle ein. Das heisst, Nachhaltigkeit gehört nicht nur touristisch, sondern auch politisch zur DNA der Region.

 

Generell etwas viele Wechsel im Team. Ist Touristiker ein derartiger Stressjob?

Das stimmt, ich bedauere die Wechsel ausserordentlich. Wir sind in der DMO schon immer gefordert, aber als stressig empfinde ich es nicht.

 

Was tun Sie, um das Ganze zu beruhigen?

Einzelne Kündigungen sind vielleicht auf den Wechsel in der Geschäftsleitung zurückzuführen: Im Juli wurde ich vom Verwaltungsrat zum alleinigen Direktor gewählt. Das wird sich wieder beruhigen. Wir arbeiten in Workshops an unserem Teamgeist und der Zusammenarbeit: Im November fand ein ganztägiger Workshop statt, im Mai ist ein weiterer Workshop geplant.

 

Wie einfach ist es, Leute zu finden für diese Jobs?

Wir haben nicht viele Bewerbungen auf die ausgeschriebenen Stellen, aber für jede Stelle interessante Dossiers erhalten. Ich bin optimistisch, dass wir für alle Positionen gute Mitarbeitende verpflichten können.

 

Finden ist das eine, dann sollten sie auch noch bleiben, worauf kommt's da an?

Die Arbeit muss Freude bereiten, es braucht die Leidenschaft für den Tourismus. Ein gut eingespieltes Team ist ebenso wichtig für eine langfristige Zusammenarbeit.

 

Wieso sind das interessante Jobs und wieso sollte man unbedingt im Tourismus arbeiten?

Es ist nicht der Lohn, der die Arbeit im Tourismus attraktiv macht, unsere Löhne sind im Vergleich zu anderen Branchen eher unterdurchschnittlich. Die Vielfalt der Aufgaben und der Kontakt mit Gästen und Leistungspartnern machen unsere Arbeit unglaublich abwechslungsreich und interessant. In der DMO ist ein erfolgreiches Netzwerk die Basis für Erfolg.

 

Welches sind die nächsten Schritte in der Entwicklung der Destination?

2025 steht die Rezertifizierung bei TourCert – nachhaltiges Reiseziel an. Wir sind in der Schweiz schon seit vielen Jahren Pioniere in Sachen Nachhaltigkeit, aber andere Destinationen haben aufgeholt und uns teilweise überholt. So ist beispielsweise die Swisstainable-Durchdringung in den Stadt-Destinationen deutlich höher als bei uns. Das spornt uns an, das Nachhaltigkeitsbewusstsein bei unseren Leistungspartnern und Leistungspartnerinnen weiterhin zu fördern.

Weiter haben wir bei der Digitalisierung Nachholbedarf, zum Beispiel bei der Personalisierung von Informationen. Hier wird Franz Thomas Balmer ab April als neuer Leiter Marketing und Digitalisierung eine wichtige Rolle spielen und uns in Zusammenarbeit mit den anderen Destinationen im Kanton auf eine neue Ebene bringen.

 

Und in welche Richtung soll sich die Destination entwickeln, welche Schwerpunkte spielen dabei eine Rolle?

Wir wollen im Marketing die Region noch prägnanter mit ihren Alleinstellungsmerkmalen positionieren. Die Qualität des Angebotes muss auf einem hohen Niveau bleiben. In den letzten Jahren haben wir in der ganzen Region durch Betriebsaufgaben und Verkäufe bewirtschaftete Betten verloren. Diese Entwicklung bereitet mir im Hinblick auf den wirtschaftlichen Erfolg der Region Sorgen. Ich wünsche mir, dass die geplanten Investitionen, zum Beispiel diverse Hotelprojekte, die Weiterentwicklung des Bogn Engiadinas oder der Qualitätsausbau der Skigebiete in den nächsten Jahren umgesetzt werden können. 

Bernhard Aeschbacher, Direktor der Tourismus Engadin Scuol Val Müstair AG
Bernhard Aeschbacher, Direktor der Tourismus Engadin Scuol Val Müstair AG © Dominik Täuber

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