«Joaaa, Joaaa!» Duri Valentin kauert auf dem Eis und fixiert den entgegengleitenden Stein. «Joaa, Joaa», schreit er nochmals, bis die beiden Wischer endlich mit ihrem Einsatz beginnen. «Ab, ab», lautet jetzt das Kommando. Alleine, die Wischer wischen unbeeindruckt weiter und der Stein verfehlt sein Ziel. Leicht genervt erhebt sich Valentin, schüttelt seine graue Mähne, gleitet übers Eis und macht sich bereit, seinen Stein zu spielen. Valentin ist in seinem Element, in seinem Winterelement, auf dem Curling-Rink der Sportanlage Trü. Seit x Jahren frönt er diesem Sport, der eine famose Mischung aus Taktik, Technik, Team und etwas Glück ist. Wie es Duris Art entspricht, ist er nicht nur dabei, sondern mittendrin und lebt das Spiel intensiv mit.
In jungen Jahren hat er auch mal Eishockey gespielt, ebenso intensiv, wovon die vielen Verletzungen zeugen, die er aus dieser Zeit aufzählt. Das Skifahren hat er ebenfalls schon länger aufgegeben, «als die Carving-Skis» kamen, sagt er scherzhaft. Der triftigere Grund sei aber eher gewesen, erzählt er weiter, dass am Samstag die Hockeymatches stattfanden und er deshalb am Sonntag jeweils platt gewesen sei. Seiner Begeisterung für Skirennen – im Fernsehen – hat dies jedoch keinen Abbruch getan und seinen Fähigkeiten als Co-Kommentator auch nicht.
Mittendrin war er auch im Berufsleben, 43 Jahre lang als Versicherungsvertreter (Versicherungskaufmann). Angefangen habe er mit wenig, hart sei das gewesen, erinnert er sich. Dass er zur Versicherung kam, war nicht von Anfang an absehbar. Denn gelernt hat er Schriftsetzer und auch als solcher gearbeitet, bei der Engadiner Post, fast zwölf Jahre lang. Als er dann mit 28 eine Familie gründete, überlegte er sich, ein eigenes Haus zu bauen respektive die elterliche Scheune zu einer Wohnung für seine Familie auszubauen. Darauf empfahl ihm sein Schwiegervater, mit dem Generalagenten von «Bern Leben» in Chur Kontakt aufzunehmen, um die versicherungstechnischen Punkte abzuklären. Duri und der Agent trafen sich in St. Moritz, und Valentin hörte erst mal zu. Ein schwerer Autounfall machte dann aber beinahe all diese Pläne zunichte. Umso erstaunter war Valentin, als der Agent von Bern Leben ihn nach seiner Genesung wieder anrief und ein Treffen in St. Moritz vorschlug. Zu Valentins grossem Erstaunen schlug ihm dieser den Job als Aussendienstmitarbeiter für die Versicherung vor.
Rat von der Wahrsagerin
«Kommt nicht infrage,» dachte dieser damals. «Ich hatte eher Angst vor den Leuten, redete nur mit denjenigen, die ich schon kannte», gibt er Einblick in eine längst vergessene und verschwundene Welt. Allein, der Agent liess nicht locker und bearbeitete seinen Auserwählten regelmässig. Dieser hatte grosse Mühe, sich zu entscheiden und suchte Rat von aussen – bei einer Wahrsagerin. Gesehen habe er sie im «Teleboy», einer TV-Show im Schweizer Fernsehen mit Kurt Felix, und schon einigen Jahren auf dem Buckel. Er schickte ihr seine handschriftlich notierte Frage und ein Foto. Telefonisch riet sie ihm dann, die Stelle anzutreten. Der Rest ist Geschichte, durchaus auch Schweizer Versicherungsgeschichte. Begonnen hat er bei der Bern Leben. Als «sein» Generalagent dann Hauptvertreter der Helvetia wurde, bot er Valentin an, für ihn zu arbeiten, im eigenen Büro samt Sekretärin, als Aussendienstmitarbeiter für das ganze Engadin, inklusive Südtäler und Val Müstair. Später wurde die Helvetia aufgeteilt und er fand sich bei der Elvia wieder, welche dann irgendwann durch die Allianz aufgekauft wurde. Valentin aber konnte sich immer halten und dank steigendem Erfahrungsschatz bedrückten ihn diese wirtschaftlichen Manöver immer weniger.
Das war zu Beginn jedoch ganz anders: «Ich hatte keinen einzigen Kunden, keine Kundin», skizziert er seine Ausgangslage. Also begann er, Geburtsanzeigen zu studieren, den frisch gebackenen Eltern zu schreiben und zu telefonieren, um ihnen die richtige Absicherung für jede Lebenslage vorzuschlagen. Lehrabgänger besuchte er auch und zeigte ihnen die Vorteile von Lebensversicherungen und Vorsorgen auf. Aus diesen Zeiten stammte auch sein Übername «Püpa». Die Tabakpfeife war fixer Bestandteil bei Valentins Verkaufsgesprächen. «Links hielt ich die Tabakpfeife und rechts den Kugelschreiber», so habe er immer gewusst, was mit den Händen zu machen.
Immer ehrlich
«Aufzeigen» steht hier bewusst, denn er habe nie jemandem etwas verkauft, was nicht nötig gewesen wäre, niemanden habe er über den Tisch gezogen und neue Versicherungen nie nur wegen seiner Provision verkauft, beteuert er. Dies, obwohl die Provision immer wichtiger Lohnbestandteil bei ihm war. Deshalb gab es durchaus auch magere Zeiten. Doch Valentin war begeistert von seiner Arbeit, «jeden Morgen bin ich gerne aufgestanden», Tag und Nacht habe er gearbeitet und jeden zweiten Samstag fuhr er noch ins Val Müstair, um Kunden zu akquirieren. Selbstredend, dass er deswegen beim Familienleben nicht ganz so mittendrin war. Meine Töchter hatten nicht viel von ihrem Vater, gesteht er heute.
Dafür aber seine Kundinnen und Kunden. Viele von ihnen hat er jetzt noch, einige bekamen just die Lebensversicherung ausbezahlt, die er vor Jahrzehnten abgeschlossen hatte. «Ich bin gut angekommen bei den Leuten und kann heute noch an jeden Stammtisch und höre kein böses Wort.» Dass er gut angekommen ist oder noch immer ankommt, liegt definitiv daran, dass er grossen Wert auf seine Garderobe legt. «Nie würde ich in Jeans zu Kunden gehen, im Aussendienst ist das Aussehen wichtig», weiss er. Tatsächlich ist sein Kleidungsstil fast schon Legende respektive legendär. Die halbhohen Schuhe mit seitlichem Reissverschluss und leichtem Absatz, ähnlich derer, welche Robert Plant sie getragen hat. Dazu gerade geschnittene Stoffhosen, Hemd mit eher hohem Kragen, unifarbiges Stoffsako und die Frisur, ebenfalls wie Robert Plant. Selbstredend, dass er nicht seine komplette Garderobe in Scuol findet. Die Hosen kaufe er mit Vorliebe auf einer bekannten Ferieninsel, lässt er sich etwas in die Einkaufstasche blicken, offenbart aber auch ein etwas schlechtes Gewissen.
Zum Einkaufen wird er nun definitiv mehr Zeit haben, für das Familienleben auch. Denn nach der Verlängerung von 65 bis 71 sei jetzt bei der Versicherung definitiv Schluss sagt er, so seien die Richtlinien dort.
Der Pensionierung blickt er jedoch eher mit gemischten Gefühlen entgegen respektive mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wie er es nennt. Er wäre auch durchaus noch offen für das eine oder andere kleinere Engagement. Zum Velofahren, seinem Lieblingssport im Sommer, fände er dann immer noch genügend Zeit und zum Curling spielen auch – ob die Mitspieler nun machen, was er sagt und die Steine kommen oder nicht.