Soldanellen drängen ans Licht.
Soldanellen drängen ans Licht. © zvg

Frühling zum Essen

Jürg Wirth Kaum sind die letzten Schneereste geschmolzen, drängt die Natur wieder ans Licht. Nachfolgend ein kurzer Spaziergang zu den ersten Blühern.

Irgendwann geht jeder Winter zu Ende – ganz sicher. Zwar hat der Kontrast des gleissenden Schneeweiss mit dem satten Himmelblau durchaus etwas für sich, doch mit der Zeit ermüdet dieses Farbspiel dann die Augen doch etwas und die Seele ebenfalls. Schön also, wenn sich wieder zartes Grün ins Farbenspektrum mischt, meist jedoch stark bedrängt von Braun. 

Kommt dazu, dass, wenn man beim Gemüse auf Saisonalität achtet und keine Erd- oder Himbeeren von weiss-ich-nicht-woher kauft, sich die Speisekarte in dieser Zeit ziemlich reduziert und vornehmlich auf lagerbares Wurzelgemüse beschränkt. 

Höchste Zeit also für einen kleinen Spaziergang entlang der neu zum Vorschein gekommenen Frühlingsboten. Dieser kleine Ausflug tut sowohl dem Magen als auch der Seele gut. Vorausgesetzt, man kann die Frühlingsboten einordnen und weiss sie entsprechend zu würdigen oder sogar zu verarbeiten. 

Kaum grünt es etwas, wagen sich auch andere Tierchen wieder hervor.
Kaum grünt es etwas, wagen sich auch andere Tierchen wieder hervor. © Jürg Wirth

Löwenzahnsalat

Nähern wir uns also einer leicht grünenden Wiese, im Wissen darum, dass die erste Zutat für einen frischen, leicht bitteren Salat garantiert mit dabei ist – der Löwenzahn. Genau, die «Soiblume, Chrottebösche» oder wie sie auch immer heisst, ist nicht nur extrem ausdauernd und auf gut gedüngten Wiesen weit verbreitet, sondern eben auch essbar. Geschmacklich und konsistenziell hält sie dabei mit dem nicht nur auf Pizzen verwendeten Ruccola locker mit. Voraussetzung ist allerdings, dass man nur die jungen, kurzen Blätter pflückt. Ebenfalls von Vorteil ist, wenn man dies auf Wiesen tut, die nicht noch im Herbst gegüllt oder gemistet worden sind. Danach muss man die Blätter nur noch gut waschen, Essig und Öl darangeben und fertig ist der Salat.

Vom Löwenzahn sind nicht nur die Blätter essbar, sondern auch dessen Knospen. Allerdings muss man dazu parat sein. Denn die Knospen treiben im Frühling aus und nur kurze Zeit später drängen aus ihnen die charakteristischen gelben Blüten. Möchte man die Knospen zu «falschen Kapern» weiterverarbeiten (Rezepte finden sich in der einschlägigen Literatur oder im Netz), empfiehlt es sich, die Knospen möglichst früh und noch vor dem Blütenaustrieb zu ernten.

Besser ist es, man erntet den Löwenzahn schon, bevor er richtig blüht.
Besser ist es, man erntet den Löwenzahn schon, bevor er richtig blüht. © zvg

Huflattich gegen Husten

Bei den gelben Blumen muss es nicht immer der Löwenzahn sein, es kann sich dabei auch um Huflattich handeln. Ein hübsches Blümchen, es ähnelt etwas einem grösseren, gelben Gänseblümchen. Dieser wächst auf eher feuchten Böden, gilt deshalb auch als Zeigerpflanze für Staunässe im Boden. Huflattich gedeiht bis auf Höhen von 2600 Metern und blüht ab und an auch noch im November. Speziell beim Huflattich ist, dass erst die Blüten auf dem Stängel erscheinen und erst dann, wenn diese verblüht sind, die grossen, glatten und zähen bodennahen Blätter wachsen. Diesen hat der Huflattich auch seine wenig schmeichelhaften Übernamen wie «Ackerlatsche», «Kuhfladen» oder «Wanderers Klopapier» zu verdanken. Nebst dem eher despektierlich anmutenden Verwendungszweck spielt Huflattich als Heilkraut eine wichtige Rolle – und dies schon lange. Bereits in der Antike empfahlen die Gelehrten den Rauch der angezündeten Blätter gegen Husten. 1994 war der Huflattich die Heilpflanze des Jahres in Deutschland. 

Erst blüht der Huflattich und nachher wachsen noch die Blätter.
Erst blüht der Huflattich und nachher wachsen noch die Blätter. © Ingrid Jansen

Schlüsselblume gegen Husten

Und wo wir schon bei den gelb blühenden Blumen sind, kommen wir gerade noch zur Schlüsselblume. Zierliche, gelbe Blüten und ein ziemlich betörender Duft zeichnen diese Pflanze aus, die ebenfalls mit Vorliebe an feuchten Stellen wächst. Bei der Schlüsselblume ist nicht ganz sicher, ob sie während der Erscheinungsdauer dieser Ausgabe bereits blüht, aber sie macht auch nachher noch Freude. Freude hat sie auch schon vielen Menschen als Heilmittel gemacht, hilft sie doch gegen verschleimten Husten.

Besticht auch durch einen betörenden Duft – die Schlüsselblume.
Besticht auch durch einen betörenden Duft – die Schlüsselblume. © zvg

Pünktlich zur Erkältung

Damit wären wir bei einer eigentlichen Huhn-oder-Ei-Frage. Blühen Huflattich und Schlüsselblume extra so früh, dass sie sich zu Hustenmittel verarbeiten lassen? Oder wurden sie quasi als solches entdeckt, weil im Frühling viele Leute erkältet sind und die besagten Pflanzen als Erste spriessen?

Tatsächlich ist es zwar nicht mehr ganz Winter aber auch noch nicht richtig Sommer. Die Übergangszeit also, in der die Sonne tagsüber schon schön wärmt und einen dazu verleitet, Pullis und Jacken auszuziehen. Die Zeit aber auch, die mit fiesen Luftzügen oder kalten Schatten den T-Shirt-Trägerinnen und Trägern eine heimtückische Erkältung hinterherschickt. Und ehe man sich’s versieht, steht man da mit laufender Nase und kratzendem Hals. Nun könnte man irgendwelche Sachen der Pharmaindustrie schlucken und darauf hoffen, dass die Chemie raschmöglichst ihren Dienst tut. Oder man kann sich auf die heilende Kraft der Natur besinnen und versuchen, die Erkältung auf diesem Wege zu besiegen, eben zum Beispiel mit Huflattich oder Schlüsselblumen in einer verarbeiteten Form.

Brauche ich speziell zu erwähnen, dass Lungenkraut, ebenfalls ein früher Frühlingsblüher, auch gegen Husten und Erkältungen hilft? Wachsen tut das «Schlüsselblümchen in Lila» in Mischwäldern und wohl fühlt es sich auf eher nährstoffreichen Böden bis etwa 1300 Meter.

Wohler über die Höhe fühlt sich hingegen der Blaue Enzian, Titelheld des gleichnamigen Liedes von Heino und wohltuender früher Farbtupfer auf den Bergwiesen. 

Blühende Büsche

Doch nicht nur am Boden macht sich der Frühling bemerkbar, sondern auch etwas darüber, in Sträuchern und Büschen, beim Schwarzdorn beispielsweise. Dieser blüht – anders als es der Name vermuten liesse – schneeweiss. Gerade auf den Terrassen um Sent und Scuol kommt diese Staude häufig vor und sorgt für ein veritables Dickicht und wertvollen Rückzugsraum für kleinere und grössere Tiere. Ein Blütenaufguss soll bei Kindern gegen Durchfall helfen und das Elixier aus den Beeren, die im Herbst reifen, stärkend nach Infektionskrankheiten. Vor allem sind die Büsche äusserst schön anzuschauen, in der Blüte im Frühling wie auch im Herbst, dichtbehangen mit den dunkelblauen Beeren.

Auch die Traubenkirsche blüht weiss und verströmt einen eigenen, charakteristischen Geschmack. Mich erinnert er immer an die Kindheit im Schwimmbad, dort gab's diese Röhrchen mit einem farbigen Pulver drin, das man essen konnte und das genau gleich schmeckte. Ein wenig wiederbeleben lässt sich diese Erinnerung, wenn man die Blüten zu Sirup verarbeitet. Zudem ist die Traubenkirsche ein eigentlicher Wunderbaum, der Wildbienen und Vögel Nahrung bietet, Böschungen befestigen kann und ab und an der Gespinstmottenlarve zum Opfer fällt. Wie es der Name andeutet, packen diese den Busch in ein dichtes, weisses, fein gesponnenes Netz, dessen Anblick Christo vor Neid hätte erblassen lassen. Innerhalb des Netzes fressen die Larven den Baum einfach mal kahl. Allerdings erholen sich die Pflanzen von dieser Attacke jeweils rasch wieder. 

Erholt haben hoffentlich auch wir uns ein wenig auf diesem Frühlingsspaziergang vom Winter.

Zart blüht die Felsenbirne.
Zart blüht die Felsenbirne. © zvg

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